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Transen in Schwarzrotgold

Hauptsache hübsch retro: An der Siegessäule trafen sich stilsichere Eighties-Menschen mit Limahl-Frisuren und Kampfhundehalterhosen zu einer vermeintlich subversiven Modenschau der Berliner Designer „3mulgator“

Am Donnerstagabend standen viele Menschen an einer abgesperrten Straßenecke im Prenzlauer Berg und warteten auf ein Ereignis. Zwei Stunden warteten sie, bevor es passierte. Die Menschen nahmen alles hin, die Verzögerung und die idiotische Performance, sie muckten nicht, keiner warf Steine, zündete Mülltonnen an oder verprügelte den Veranstalter.

Man war gekommen, um eine Kuh fliegen zu sehen, und stand geduldig herum, selbst fast wie das Opferlamm des egomanen Hohepriesters, in klammer Erwartung des Rituals. Den Blick auf den Ort des sich ankündigenden Spektakels gerichtet, die Hände tapfer in die Hosentaschen gesteckt oder um den Bauch einer Bierflasche gelegt, verlängerte man die voyeuristische Erregung in der Illusion von Vorfreude. Das bleierne Nichts legte sich derweil auf die Masse. Als das Dach eines Bauwagens sich unter dem Gewicht der darauf Sitzenden nach innen beulte, war das schon etwas. Die Umstehenden johlten und pfiffen, und die auf dem Bauwagen waren für einen Augenblick im Zentrum des Geschehens.

Kurz zuvor trafen sich einige Dutzend vornehmlich junger Menschen an der Siegessäule. Es sollte eine Modenschau geben, mit Picknick und Prosecco. Es gab dann nur die Modenschau. Die Menschen an der Siegessäule gehörten – anders als die Kuh-Meute – zu einer ganz besonderen Kaste, das konnte man an ihren Frisuren erkennen. Fast alle trugen das Haar im Achtziger-Jahre-Retro-Stil, der sich spätestens in diesem Sommer mit hybriden Vokuhila-Schnitten, weißblonden Strähnen und schwarz eingefärbten Spitzen in die Top Ten der Geschmacklosigkeiten katapultierte. An der Siegessäule war das einfach nur cool. Auch Tarnhosen mit Camouflage-Muster, bis vorgestern von Hundebesitzern aus Neukölln getragen, ließen sich als hippes Beinkleid ausmachen. Ach ja, und das Androgyne, das Jungs wie Mädchen und Mädchen wie Jungs aussehen lässt.

Gekommen war man zu einer Modenschau der Berliner Designer „3mulgator“, was sich wie „Emulgator“ ausspricht. Eigentlich sollte der Catwalk im Tiergarten, auf einer steinernen Rotunde stattfinden. Und danach sollte gegrillt und getrunken werden. Das wär doch mal was gewesen, im Berliner Sommerloch, im gähnenden Nichts, das die Kulturpessimisten dieser Zeitung vor kurzem beschworen haben. Vielleicht hätte diese „Veranstaltung“, zu der es eine Agentur gab, deren Mädchen man an ihren bunten Armbändern erkennen konnte, ja doch „etwas“ gebracht.

Doch die inständig Hoffende wurde bitter enttäuscht: An der Siegessäule gab es keinen Proviant, dafür Poser im Überfluss. Selbstverliebte, nach den „Alles-ist-erlaubt“-Regeln der nicht mehr neuen Beliebigkeit gekleidete Modestudenten guckten sich mit angestrengten Mienen die Kollektion von „3mulgator“ an. Die wurde im Tunnel unter der Straße des 17. Juni präsentiert, nannte sich „Schwarz-Rot-Gold“, und hantierte mit nationalstaatlichen Symbolen. Sowohl die Farben der deutschen Flagge als auch der Bundesadler wurden von den Designern Stephanie Franzius und Hugo Schneider, zwei ehemaligen Schülern des Lette-Vereins, für ästhetische Spielereien und Kontextverschiebungen benutzt. Sie schickten magere Jungens mit goldglimmernden Slips, roter Schärpe und schwarzen High-Heels durch den Tunnel oder blonde Mädchen mit knielangen, biederen Röcken, die an die 50er-Jahre, die restriktive Zeit des „Wirtschaftswunders“, erinnerten.

Tatsächlich war die Show in ihren besten Momenten transvestitenartig-provokant, teilte Hiebe gegen die Bürgermoral aus. Nur waren die Bürger nicht anwesend, sondern die Leute aus der „Scene“ mit ihren Limahl-Frisuren. Nachdem die knapp dreißig Models hinauf ans Tageslicht gestiegen waren, wurde vor der Goldelse noch einmal posiert. Dann war Schluss. Niemand lachte, niemand randalierte. Alles war egal. JANA SITTNICK

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