: Präsident Wahid vor dem Sturz
In Indonesien hat das Parlament die Amtsenthebung des Staatschefs eingeleitet. Im Falle seiner Absetzung rückt Vizepräsidentin Megawati nach. Sie besteht auf einer Abstimmung, da sie ihren derzeitigen politischen Partnern nicht traut
von JUTTA LIETSCH
Bis zuletzt hat Indonesiens Regierungschef Abdurrahman Wahid um sein Amt gekämpft. Nun dürfte es sich nur noch um Stunden oder wenige Tage handeln, bis er aus dem Präsidentenpalast vertrieben wird. In einer überraschend für heute einberufenen Sondersitzung wollen die 700 Abgeordneten der „beratenden Volksversammlung“ in Jakarta über seine Amtsenthebung abstimmen. Falls sich eine Mehrheit des Gremiums gegen den 61-jährigen Politiker ausspricht, wird Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri automatisch seine Nachfolgerin.
Das politische Drama in dem 210-Millionen-Einwohnerland wird begleitet von Anschlägen: In Jakarta explodierten gestern Morgen in einer katholischen Kirche während der Messe und in einem protestantischen Gotteshaus Bomben. Dutzende Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Kräfte im Militär oder Anhänger des alten Suharto-Regimes, so die Gerüchte in der indonesischen Hauptstadt, wollten womöglich die ohnehin unsichere Lage weiter destabilisieren.
Nach langem Tauziehen entschied die Opposition, das Verfahren zur Amtsenthebung Wahids vorzuziehen. Zunächst war der 1. August geplant. Anlass: Der Präsident hatte sich am Freitag am Parlament vorbei entschieden, einen neuen Polizeichef zu ernennen. Sein Vorgänger hatte sich geweigert, seinen Posten zu verlassen, nachdem ihn Wahid im Zorn gefeuert hatte.
Der fast blinde Präsident kündigte nach der Entscheidung des Parlaments an, er werde zur heutigen Sondersitzung nicht erscheinen. Die Vorladung sei „illegal“. Er werde auch nicht Rechenschaft über seine 21-monatige Regierungszeit ablegen und auf Vorwürfe von Korruption und Misswirtschaft antworten. Falls die Abgeordneten es wagen sollten, ihn aus dem Amt zu kippen, drohte Wahid mit dem Ausnahmezustand. Theoretisch könnte er dann das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen.
Es scheint jedoch kaum wahrscheinlich, dass der Präsident diese Drohung wahr machen kann. Denn je verbissener er um die Macht kämpft, desto einsamer wird er. Außer den Abgeordneten seiner „Partei des Nationalen Erwachens“ will heute niemand mehr für ihn kämpfen.
Falls Wahid den Ausnahmezustand ausrufe, würden Polizei und das Militär den Erlass des Präsidenten ignorieren, prophezeite Amien Rais, der Sprecher der beratenden Volksversammlung, am Wochenende. Rais, einer der schärfsten Gegner des Präsidenten: „Er wird völlig bedeutungslos sein. Die Leute werden nur lachen.“
Selbst wenn es Wahid gelänge, die Volksvertreter nach Hause zu schicken, würde dies nur einen kleinen Zeitgewinn bringen, bevor er schließlich doch abtreten müsste. Denn seine Partei würde kaum mehr Stimmen erzielen als 1999. Damals gewann sie nur zehn Prozent der Mandate. Wahid konnte nur Staatschef werden, weil er eine breite Koalition von Parteien um sich scharte – die er seitdem zu seinen bitteren Feinden gemacht hat. Die Chefin der größten Fraktion, der „Demokratischen Partei des Kampfes Indonesiens“, Megawati Sukarnoputri, musste sich mit dem machtlosen Posten der Vizepräsidentin begnügen.
Doch die Tochter des Staatsgründers Sukarno misstraut den konservativen Muslimen wie den Politikern der alten Suharto-Anhänger. Sie fürchtet, dass sich diese Kräfte nach dem Sturz Wahids auch gegen sie wenden könnten und sie ebenfalls aus dem Amt drängen werden. Deshalb legt sie größten Wert darauf, als legitime Regierungschefin anerkannt zu werden, und beharrt darauf, dass die Abgeordneten sie nach der Absetzung Wahids in einer zweiten Abstimmung als Präsidentin bestätigen.
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