: Ein Schritt hin zu einer europäischen Gewalttäterdatei
Nach der Randale von Genua fordert Bayerns Ministerpräsident Stoiber die EU auf, die Sammlung von Daten über gewalttätige Demonstranten nicht länger zu blockieren
BERLIN taz ■ Der bayerische Ministerpräsident war einer der schnellsten. Die Ausschreitungen beim Gipfeltreffen in Genua waren noch nicht vorbei, da forderte Edmund Stoiber bereits Konsequenzen. „Solche Gipfeltreffen dürfen nicht zu einem Spektakel aus Gepränge auf der einen Seite und Gewalt auf der anderen Seite verkommen“, polterte der CSU-Mann in der Welt am Sonntag. Unwürdig sei, „wie sich die Staatsmänner förmlich verkriechen müssen vor der Gewalt“. Stoiber fordert drastische europaweite Regelungen, um gewalttätige Demonstrationen möglichst schon im Vorfeld mit Vorbeugehaft zu verhindern. In der EU müsse „endlich Schluss sein mit der Ablehnung einer europaweiten Gewalttäterkartei“.
SPD-Innenminister Otto Schily dürfte sich beim Lesen gefreut haben – er war mit der gleichen Forderung im Vorfeld des Gipfels am Widerstand seiner europäischen Amtskollegen gescheitert. Die EU-Innenminister hatten sich vor zehn Tagen in Brüssel zu einem Sonderrat getroffen, um über Konsequenzen aus den gewalttätigen Demos zu beraten. Um die Bedenken von Finnland, Irland und Griechenland gegen zu weit gehende Reisebeschränkungen und europaweiter Datenerfassung auszuräumen, beschloss die Runde, es jedem Land selbst zu überlassen, welche Maßnahmen es ergreifen wolle. Vor allem Frankreich, Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederlande gingen Schilys Vorschläge zu weit.
Schily hatte bei dem Sondertreffen angekündigt: „Deutschland wird alle Erkenntnisse nutzen, um zu verhindern, dass Personen, von denen wir annehmen, dass sie Gewalttaten begehen, sich an diesen Ort begeben.“ Und so wurde es umgesetzt: Allein in Berlin wurde gut einem Dutzend „potenzieller Störer“ die Ausreise in Richtung Italien untersagt. Weitere 50 erhielten Besuch vom Staatsschutz – in so genannten Ansprachen wurde sie dringend vor möglichen Straftaten und den folgenden Konsequenzen in Deutschland gewarnt.
Nach den Ausschreitungen in Genua könnte die Ablehnungsfront in der Europäischen Union nun bröckeln. So hofft auch der neue Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD), dass sich die anderen EU-Länder am Beispiel Deutschland orientieren. Er sieht einen Gewalttourismus heraufziehen, „der erheblichen Bedeutung haben wird“.
Während die Einführung einer europaweiten Erfassung militanter Globalisierungsgegner diskutiert wird, blickt der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacob, skeptisch auf die nationalen deutschen Pläne für Gewalttäterdatein. Nach einem Beschluss der Innenministerkonferenz vom November werden drei neue Dateien beim Bundeskriminalamt eingerichtet, und zwar über rechte und linke Gewalttäter sowie über politisch motivierte Ausländerkriminalität. „Von einer derartigen Datei können auch unbescholtene Bürger betroffen sein“, sagte Jacob. So dürfen schon Daten von Personen, die nur verdächtigt werden, gewaltbereit zu sein, in diese Datensammlung aufgenommen werden. WOLFGANG GAST
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