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„Viele Länder gegen Kontrolle“

Botaniker Ernst-Detlef Schulze zum Problem der „Senken“: Genaue Berechnung der CO2-Speicherung in Pflanzen wäre möglich, ist aber unerwünscht. Schlupflöcher werden bewusst offen gehalten

taz: Herr Schulze, wie viel CO 2 schluckt ein Baum?

Schulze: Das kann mehr sehr genau messen. Man kann es sogar an den Jahresringen der Bäume zurückverfolgen.

Auch im weltweiten Maßstab?

Auch das wäre möglich. Schließlich gibt es Forstinventuren seit über hundert Jahren. Es gibt aber auch Probleme bei dieser Art der Berechnung.

Und zwar?

Erstens werden die Böden außen vor gelassen. Zweitens ist das, was als „forstliche Plantage“ aufgebaut wird, nicht permanent, sondern wird wieder einer Nutzung zugeführt. Damit ist die Kohlenstoffspeicherung nur für eine begrenzte Zeit vorhanden. Das Holz wird irgendwann verbrannt oder vermodert und setzt dann wieder CO2 frei.

Ist eine seriöse Messung dann überhaupt machbar?

Die Kioto-Vereinbarung enthält ja ausdrücklich den Satz, dass die normale Forstwirtschaft nicht enthalten ist, sondern nur „neue Aktivitäten“ angerechnet werden. Aber was heißt das? Diese Frage ist nicht geklärt. Man müsste von den Staaten eine volle Kohlenstoffbilanz für ihre Landnutzungen verlangen.

Ist das möglich?

Ja. Aber die Länder wollen diese volle Kohlenstoffbilanz zu einem großen Teil nicht, weil sie damit die Option verlieren würden, zwischen verschiedenen Rechengrößen hin und her zu schieben. Dadurch gibt es für einige Länder Schlupflöcher. Viele Länder sind sehr zurückhaltend bei technischen Änderungen, um den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu verringern. Momentan ist das Anrechnen von Senken billiger.

Junge Bäume speichern mehr CO 2 als alte Bäume, weil sie noch wachsen. Würde es Sinn machen, alte Bäume zu fällen und dafür neue zu pflanzen?

Nein. Ein alter Wald hat noch einen erheblichen Umsatz an Blättern und Wurzeln, der höher ist als in einem Jungbestand. Der alte Wald speichert daher mehr CO2 als frische Kulturen und nachwachsende Wälder.

Mehr CO 2 in der Luft müsste zu besserem Wachstum der Bäume führen und damit wiederum zu weniger CO 2 in der Luft. Ist das ein selbstregulierender Mechanismus?

In gewissen Grenzen. Jedoch gibt es eine Sättigung. Für nährstoffarme Systeme ist diese Sättigung erreicht oder wird bald erreicht sein. In Kioto wollte man die CO2-Erhöhung herausrechnen, ebenso wie die Stickstoffablagerung im Boden, die ja noch viel wirksamer ist. Denn sonst könnte sich Amerika das zusätzliche weltweite CO2-Wachstum zu 20 Prozent als Leistung Amerikas anrechnen lassen.

Wie denn das?

Na ja, Amerika erhöht die CO2-Konzentration in der Atmosphäre und beschleunigt damit das Wachstum der Wälder.

Das klingt verrückt.

Deshalb brauchen wir eine klare Bilanzierung. Viele Länder wehren sich gegen eine Kontrolle.

Wie sähe eine solche Kontrolle aus?

Zum Beispiel so, dass ein Drittland die Bilanz wie in einer Rechnungsprüfung abzeichnet. Oder so, wie wir das in dem Projekt Carbo Europe der europäischen Union vorgeschlagen haben, dass man nämlich durch zusätzliche Messverfahren, zum Beispiel Messverfahren in der Atmosphäre, verifiziert, dass am Boden etwas stattgefunden hat.

Kontrollen wären möglich, scheitern aber am politischen Unwillen?

Ob es politischer oder technischer Unwillen ist, möchte ich nicht werten. Aber wenn man den Klimaschutz ernst nehmen will, wären 30 statt 5 Prozent angemessen. Wenn wir Glück haben, wird rein rechnerisch mit den Senken-Verrechnungen der fossile Brennstoffverbrauch 2010 wahrscheinlich etwa auf dem Niveau von 1990 sein.INTERVIEW: BERNHARD PÖTTER

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