Wabern durch die Dimensionen

Es wispert, raschelt, zischt in der Raumkapsel: Robert Lippoks „steady“-Installation in der Galerie Wohnmaschine arbeitet an einem Gegenmodell zum Noise der Straße und entzieht sich dabei der bürgerlichen Kontemplation

Wenn man den Raum betritt, fällt alles ab: Straßenlärm und Sommerhitze sowieso, aber auch die Überflutung mit Pomp und borniertem Biedermeier, Werbetexten und extremen Lautstärken, die immer mehr in Mitte regieren. Hier aber herrscht Transparenz, Zurückhaltung und Klarheit. Im ersten Zimmer der Galerie Wohnmaschine sind über Eck auf zartrosa Grund zwei geometrische, leicht trapezförmige Schatten gemalt: einer etwas dunkler als der Hintergrund, der andere weiß. Sie wirken wie Diaprojektionen ohne eingelegtes Dia. In der anderen Zimmerhälfte hat Robert Lippok eine Videoprojektion auf einen Holztisch gestellt.

Auf einer kleinen, mintgrünen, matt durchsichtigen Plastikfläche ist ein Loop einer Filmsequenz aus „Superman“ zu sehen, dem modernen Mythos par excellence. Eine seeigel- oder wurfsternförmige Raumkapsel saust durchs Bild, die das kleine Baby Superman sicher und geborgen, aber mutterseelenallein zur Erde bringt. Während er in der Kapsel zum Kind heranwächst, zerstört sich sein Heimatplanet mit all seinen Bewohnern selbst. Die Kapsel wirkt hier aber auch wie ein böser Virus, der durch menschliches Blut hindurch schnell sein Ziel finden wird. Im hinteren, fensterlosen Durchgangsraum steht ein schwarzer Kasten aus Sperrholz in der Höhe einer Bar. Er hat Vorderseite, Seitenwände und zwei runde Löcher, aus denen rhythmische Geräusche den Raum beschallen.

Es sind dieselben Geräusche wie im vorderen Raum, bloß zeitversetzt – seltsame Einzelgeräusche, die sich genau differenzieren lassen: Manchmal denkt man an Natur, ein Froschquaken, dann wieder an das Zirpen von Zikaden, leise Schritte, Murmeln, Wispern, Rascheln, Knistern und Atmen im Hintergrund. Dann wieder ertönt metallisches Schlägeln – analog oder digital, gefunden oder erfunden, was macht das für einen Unterschied? Man denkt an die Raumkapsel, an den Umschlag der Zivilisation ins Zeitalter der Maschinen, die humaner werden könnten, als das Humane je war. Robert Lippok, der sonst mit der Band To Rococo Rot Musik macht, hat einen Raum geschaffen, in dem durch Schatten und Klang die Dimensionen ins Wabern geraten, in dem man sich, ganz auf sich selbst zurückgeworfen, vereinzelt und abgekapselt von Gemeinschaft, in etwas versenkt. Diese Kunstauffassung, die von vielen Ambient-Musikern in Abgrenzung zu Pop angenommen wurde und der bürgerlichen Kontemplation aus dem 19. Jahrhundert ähnelt, wird allerdings durch das Zitat populärer Mythen gebrochen. Lippoks Installation ist eine schillernde Auflösung wertkonservativer Klischees: Auf der einen Seite hält sie daran fest, dass die Aura eines Kunstwerks ans Hier und Jetzt gebunden ist. Gleichzeitig ist seine Musik aber kein Unikat mehr, sie lebt von ihrer technischen Reproduzierbarkeit, davon, dass sie sich gleichförmig wiederholt. Die von ihm aufgenommenen peripheren, filigranen, sehr leisen, winzig kleinen Alltagsgeräusche, Musik kurz vorm Verschwinden, lassen daran denken, dass das Ohr dasjenige Sinnesorgan ist, das man am schwersten verstopfen kann – dass man täglich Geräuschen ausgesetzt ist, denen man nicht ausgesetzt sein will. Und dennoch ist sein Raum kein Raum der Stille.

Hat man sich eine Weile in der Galerie aufgehalten, ist es, als liefe man – zurück auf der Straße –- gegen eine Wand. Im Vergleich zum kristallinen Raum Lippoks ist es so, als ob draußen alles brüllt. SUSANNE MESSMER

Robert Lippok: „steady“, bis 11. 8., Di.–Sa. 11 bis 18 Uhr, Galerie Wohnmaschine, Tucholskystr. 35, Mitte