: Einkaufen wird zur Mentalitätsfrage
Seit gestern dürfen Händler und Kunden die Preise frei aushandeln. Doch in der Praxis kommt das kaum vor. Die Kaufhäuser blocken ab. Und in kleinen Läden will man erst die Preise raufsetzen, bevor man sich runterhandeln lässt
An ihren Plastiktüten sind sie eindeutig zu erkennen. Kathrin Schmidt und Caroline Gerstgrasser waren schon einkaufen. „Wir sind auf dem Weg zum Checkpoint Charlie in einer Boutique hängen geblieben“, sagt Kathrin. Und da wollte sie von der Abschaffung des Rabattgesetzes profitieren. „Ich hab tatsächlich 9 Mark rausgeschlagen“, freut sich die Touristin. Mit dem Rabattgesetz hatte das allerdings nichts zu tun. Das Etikett des neuen Kleides war abgerissen. Deshalb zahlte Kathrin statt 129 nur 120 Mark. „Ansonsten wollte die Verkäuferin vom Handeln aber nichts wissen“, sagt sie.
Dennoch, Kathrin und ihre Freundin Caroline werden es beim nächsten Einkauf wieder versuchen. Und mit diesem Vorhaben sind sie nicht allein. So täuscht die Ruhe in den Berliner Kaufhäusern. Denn eine Menge Leute wollen feilschen. Karline Nitsch hat sich beim Kaufhof am Alex noch zurückgehalten. „In Kaufhäusern werde ich es nicht versuchen“, sagt die Studentin. Hier stellt sie sich Handeln kompliziert vor. „Da müsste doch dann der Kassierer ständig Rücksprache mit der Geschäftsleitung halten“, befürchtet sie. Aber im Einzelhandel möchte sie es probieren.
Bei einem Jeansladen am Hermannplatz wird sich das lohnen. „10 bis 15 Prozent Nachlass sind drin“, sagt eine Verkäuferin. Allerdings nicht auf runtergesetzte Ware. Die sei meist schon um 30 bis 40 Prozent reduziert. Vorbereitet hat sich die Frau auf das Handeln mit den Kunden nicht. „Wir lassen das auf uns zukommen“, sagt sie und verweist auf ihre Erfahrung. Die Kreuzberger hätten schon immer ein bisschen geschachert, „Und 5 Prozent waren dabei durchaus drin.“
Das ist nicht überall so. Bei Karstadt am Hermannplatz lässt die Dame an der Kasse nicht mit sich reden. Sie verweist auf Sonderaktionen. Kunde Josef Steffan will es in Zukunft trotzdem versuchen. „Ich hab im Urlaub so meine Erfahrungen gemacht“, sagt der Charlottenburger. Vielleicht sollte er bei Foto Braune in der Karl-Marx-Straße vorbeischauen. Da lässt Karl-Heinz Raasch bei gebrauchten Kameras mit sich reden. „Bei Neuware gelten jedoch Festpreise“, sagt der Ladeninhaber. Ausnahme: Ladenhüter, die einfach niemand will. Eine mit 3.995 Mark ausgezeichnete Digitalkamera könnte man ihm heute für 3.500 abschwatzen. An diesem Tag wollte aber noch niemand mit ihm verhandeln.
Barbara Konowski glaubt den Grund zu kennen. Sie hat gerade bei Herhausen in der Friedrichstraße für ihr Parfum den vollen Preis bezahlt und erklärt: „Das Handeln hat sich in unserer Mentalität noch nicht festgesetzt.“ Beim nächsten Mal wolle sie es aber machen. In der Parfümerie wird sie jedoch kein Glück haben. Verkäuferin Barbara Wagner: „Der Chef hat mir das Handeln verboten.“ Er denke jedoch über kostenlose Zugaben nach. Vielleicht bekommt Kundin Konowski zum Parfüm dann einen Lippenstift gratis.
Gibt es also plötzlich Geschenke für hartnäckige Kunden? Hasan Cötok vom Handyladen in der Adalbertstraße deutet die Geschäftspraxis der Zukunft an: „Erst mal müssen die Verkaufspreise neu kalkuliert werden“, sagt er. Zunächst werden also die Preise angehoben, damit der geschickte Kunde später einen stattlichen Betrag runterhandeln kann. Wer im Feilschen aber nicht so talentiert ist, wird wohl draufzahlen müssen.
Genau davor warnt der Bundesverband der Verbraucherzentralen: „Der kritische Verbraucher ist gefragt“, sagt Sprecherin Edda Müller. Großzügige Nachlässe könne nur gewähren, wer zuvor die Preise erhöht hätte. Preisleistungsvergleiche lohnen sich also nach wie vor.
CHRISTIAN TERIETE
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