: Die Zentralregierung denkt nach
Rechtschreibreform für die Globalisierung: Bis man sich in Taiwan auf ein einziges Transkriptionssystem von chinesischen in lateinische Schriftzeichen geeinigt hat, herrschen Streit und babylonisches Sprachenwirrwarr
Frau Shiu wäre so gerne Frau Xu, doch die Meldebehörde in Taiwans Hauptstadt Taipeh will das auf jeden Fall verhindern. „Sie heißen Shiu, und damit basta“, ordnete der oberste Beamte an. Bei dem Streit geht es um ein den Deutschen bekanntes Thema: Rechtschreibung. Taiwan macht derzeit das durch, was die Deutschen gerade hinter sich haben: eine erbitterte und leidenschaftliche Auseinandersetzung um eine Reform der Rechtschreibung.
Die Chinesischlehrerin Xu Feixuan unterrichtete längere Zeit in den USA. Dort verwendeten die Behörden das Transkriptionssystem Hanyun Pinyin, um ihren Namen von chinesischen Schriftzeichen in lateinische Buchstaben umzuwandeln. Einmal an diese Schreibweise gewöhnt, wollte sie den Namen auch so in ihren Pass eintragen lassen. Doch sie hatte nicht mit dem Widerstand der Behörden gerechnet. Die offizielle Romanisierungsmethode Taiwans ist nicht Hanyun Pinyin, sondern das an die englische Aussprache angelehnte Yale.
Nun ist es das gute Recht eines Staates, seinen Bürgern vorzuschreiben, wie sie ein Wort richtig schreiben. Aber von klaren Regeln kann keine Rede sein – in Taiwan herrscht derzeit ein geradezu babylonisch anmutendes Sprachenwirrwarr.
Ausländer, kommst du nach Taiwan, dann mach dich auf einiges gefasst! Das Büro des Kunden, den er aufsuchen will, befindet sich in der Gudingstraße, steht auf der Einladung. Der Ausländer kauft sich einen Stadtplan und sucht vergebens – weit und breit keine Gudingstraße. Was er nicht wissen kann: Er hätte unter K nachschauen sollen, dort gibt es sie, die Kutingstraße. Ähnliches könnte ihm passieren, wenn er nach Hsimen-Ding will, aber plötzlich in Shimen-Ting ankommt. Ist er noch auf dem richtigen Weg, wenn das Straßenschild statt Herping-Avenue unvermittelt Hopin-Ave anzeigt? Man stelle sich das einmal in Deutschland vor: Nönchen statt München.
Taipehs Bürgermeister Ma Ying-jeao hat das Problem erkannt. Er möchte Taipeh zur Weltstadt machen. Dafür braucht es ein neues, regelsicheres Romanisierungssystem. Im Prinzip stimmen ihm Linguisten und Politiker zu. Die Frage ist nur, welches System in Taiwan eingeführt werden soll. Diese Frage erhitzt seit Jahren die Gemüter. Hanyun Pinyin würde sich anbieten, es ist das am weitesten verbreitete System. Die meisten ausländischen Universitäten benutzen es. Leider hat es einen Schönheitsfehler: Es wurde von Taiwans Erzrivalen, der Volksrepublik China, entwickelt. Kann denn von da etwas Gutes kommen? „Nein“, sagen einige Politiker ohne langes Nachdenken. Und sie finden auch prompt Wissenschaftler, die ihre Ablehnung mit gelehrten Worten unterstützen. Hanyun Pinyin, so sagen sie, gebe die Aussprache chinesischer Worte nur ungenau wieder.
Also entwickelte man in Taiwan ein eigenes System, das Tongyong Pinyin. Es stimmt zu 85 Prozent mit Hanyun Pinyin überein. Möglicherweise ist dieses System tatsächlich besser, nur der Rest der Welt benutzt leider schon ein anderes. Selbst in Taiwans Chinesischschulen wird mittlerweile heimlich Hanyun Pinyin gelehrt. Taipehs Bürgermeister will nicht mehr warten. Er kündigte großspurig an, notfalls im Alleingang in Taipeh Hanyun Pinyin einzuführen. Die Gegner reagierten mit einer Unterschriftenaktion gegen „eine sprachliche Fremdbestimmung aus Peking“. Der Bürgermeister gab nach nur zwei Tagen klein bei und versprach, die Entscheidung der Zentralregierung abzuwarten, die bereits seit etwa drei Jahren intensiv darüber nachdenkt. „Wir brauchen Zeit für eine reife Entscheidung“, meint der zuständige Kulturminister. Doch er gibt sich optimistisch: Vielleicht noch dieses Jahr werde man eine Lösung finden.
Bis dahin bleibt den Ausländern in Taiwan nur ein Ausweg: chinesische Schriftzeichen zu lernen. Die sind eindeutig. Für Frau Shiu fand man übrigens eine typisch chinesische Lösung: In ihrem Pass stehen nun beide Namen. In der Rubrik „Spitznamen“ steht: „Auch bekannt unter dem Namen Xiu“.
CHRISTIAN BAHLMANN
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