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Illegale sollen mit ins deutsche Boot

Eine Million Menschen soll ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland leben. Die Zuwanderungskommission hat sie zu wenig berücksichtigt, klagten Menschenrechtsorganisationen gestern auf einer Fahrt mit dem vollen Boot

BERLIN taz ■ „Wie voll ist das Boot?“ fragten gestern Organisationen wie der Flüchtlingsrat Berlin und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Ziemlich voll war ihres, aber dafür auch sehr klein. Per Schiff hatten sich Vertreter von Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen in Berlin auf den Weg Richtung Innenministerium gemacht, um auf einer schwimmenden Pressekonferenz weit reichende Verbesserungen für illegal in Deutschland lebende Flüchtlinge zu fordern.

Unabhängig vom Aufenthaltsstatus müsse ihnen uneingeschränktes Recht auf Gesundheitsversorgung, Arbeit, Wohnen, Bildung und Bewegungsfreiheit gewährt werden. Nach Angaben der Organisationen leben in Deutschland rund eine Million Flüchtlinge „ohne Aufenthaltsstatus“.

Die Diskussion um Einwanderung und Migration sei von einer „ökonomischen Nützlichkeitslogik“ geprägt, sagte Jessica Groß vom Büro für medizinische Flüchtlingshilfe. Die Debatte müsse jedoch von den realen Problemen der in Deutschland lebenden Menschen ausgehen. Seit 1996 hat die Organisation rund 3.000 Menschen in Berlin an medizinische Einrichtungen vermittelt, die Flüchtlinge ohne Bezahlung versorgen und diese nicht den Behörden melden.

Die Süssmuth-Kommission hatte in ihrem Bericht für eine Entkriminalisierung der HelferInnen plädiert. Dem Büro für medizinische Flüchtlingshilfe reicht das nicht. „Die Entkriminalisierung löst das Problem nicht. Inzwischen betreuen wir rund 90 Menschen pro Monat, das geht an unsere Grenzen“, sagt Groß. Ehrenamtlich sei die Arbeit nicht mehr zu schaffen.

Der Süssmuth-Bericht enthält nach Ansicht der Organisationen positive Ansätze. Sie befürchten jedoch, dass der Gesetzentwurf von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) ganz anders aussehen werde. So soll es zwar einen besseren Schutz für Opfer nichtstaatlicher Verfolgung geben. Nach Angaben des SPD-Innenpolitikers Dieter Wiefelspütz will Schily für diese Gruppe eine befristete Aufenthaltserlaubnis vorschlagen. Im Gegenzug werde es aber keine Duldung mehr geben, vermutet Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin. Für die stellvertretende GEW-Vorsitzende in Berlin, Sanem Kleff, wäre die befristete Aufentaltsgenehmigung dagegen ein Fortschritt. Aber: „Wir müssen abwarten, was Schily in der Schublade hat“. JULIA WESSELOH

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