: Gespräche über Waffen
Rußland und die USA wollen eine neue internationale Sicherheitsstruktur schaffen
aus Genf ANDREAS ZUMACH
Zwischen Russland und den USA hat eine „neue Ära der Zusammenarbeit“ begonnen – zumindest nach Darstellung von Condoleeza Rice, der nationalen Sicherheitsberaterin von US-Präsident George Bush. Rice machte ihre Äußerung gestern Mittag in Moskau nach einer Unterredung mit dem russischen Verteidigungsminister Sergej Iwanow. Über den Verlauf ihres Treffens mit Präsident Wladimir Putin wollte Rice am Abend die Öffentlichkeit auf einer Pressekonferenz unterrichten.
Rice hält sich seit Mittwoch in Moskau auf zur Vorbereitung der am letzten Sonntag beim Treffen Bushs mit Putin in Genua vereinbarten „Konsultationen“ über den Abbau offensiver Atomwaffenarsenale beider Länder und die Zukunft des Raketenabwehrvertrages ABM von 1972. Diese Konsultationen sollen Anfang August zwischen Experten der Außen- und Verteidigungministerien beginnen. Ziel sei die „Schaffung einer neuen internationalen Sicherheitsstruktur“, betonten Rice und Iwanow gestern. Mit dieser Formulierung verbinden Moskau und Washington allerdings weiterhin höchst unterschiedliche bis gegensätzliche Vorstellungen.
Ginge es lediglich um die Reduzierung der auf beiden Seiten jeweils noch rund 10.000 strategischen Atomwaffen, wäre eine Einigung schnell möglich. Eine solche Vereinbarung wird jedoch vor allem in Washington von einer Verständigung über Defensivsysteme abhängig gemacht. Die Bush-Administration hat unklar gemacht, dass sie ohne Rücksicht auf Bedenken in Moskau, Peking oder bei den Nato-Verbündeten die Entwicklung eines nationalen Raketenabwehrsystems zügig vorantreiben und noch vor Ablauf von Bushs erster Amtszeit mit der Stationierung beginnen will. Dafür will Washington völlig freie Hand.
Den ABM-Vertrag will Washington ersatzlos abschaffen – vorzugsweise im bei den kommenden Konsultationen erzielten Konsens mit Moskau, notfalls durch einseitigen Ausstieg. Vor jedem künftigen Entwicklungs- und Stationierungsschritt des Raketenabwehrsystems soll Russland lediglich informiert werden, aber keine Einspruchsmöglichkeiten erhalten.
Die Regierung Putin ist entschieden gegen eine ersatzlose Abschaffung des ABM-Vertrages. Moskau besteht auch für die Zukunft auf einer völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarung mit Washington. Ob in Form eines im Konsens veränderten (angepassten) ABM-Vertrages oder eines völlig neuen Abkommens, ist nach den zum Teil widersprüchlichen Aussagen der letzten Tage aus dem Moskauer Präsidentenpalast, dem Außen- und dem Verteidigungsministerium sowie dem militärischen Oberkommando nicht klar. Offen ist auch, ob die widersprüchlichen Aussagen echte Kontroversen widerspiegeln oder nur Ausdruck taktisch geschickter Arbeitsteilung sind.
Sicher ist, dass in Moskau derzeit noch sehr viel stärker als in Washington über den Charakter einer künftigen „internationalen Sicherheitsstruktur“ debattiert wird. In Washington gilt, dass diese „Sicherheitsstruktur“ auch nach Ende des Kalten Krieges weiterhin wesentlich auf Instrumenten militärischer Drohung, Abschreckung und Abwehr beruhen soll. Von vorrangigem geostrategischem Interesse für Washington sind dabei der Nahe Osten, Ostasien sowie der Kaukasus und Zentralasien. In Moskau gibt es – auch nach den Tschetschenienkriegen – immer noch gewichtige Stimmen, die für die Konflikte in diesen Regionen auf politische Lösungen setzen. Ob sich die Befürworter politischer Konfliktlösungen durchsetzen, oder ob sich Russland von den USA einbinden lässt als Juniorpartner für eine vorrangig militärisch geprägte Kontrolle von „Schurkenstaaten“ und Konfliktregionen, wird wesentlich von der Haltung der EU abhängen.
Mitarbeit: KLAUS-HELGE DONATH, Moskau
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