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„ Andere experiences“

■ Wer keine Lust auf „überfüllte Hörsäle“ hat und finanziell gut ausgestattet ist, der geht zur International University Bremen (IUB). Wie Sarah und Tuhina.

enn sie wissen ganz genau, was sie wollen: Eine gute Ausbildung und vor allem ein internationales Umfeld, so wie an der internationalen Schule in Hamburg, die Sarah Reinhard und Tuhina Chugh gerade beendet haben. Beide werden im Herbst an der International University Bremen (IUB) in Bremen-Nord ihr Studium beginnen.

Sarah wurde 1982 in Den Haag geboren und wird ab September Integrated Social Sciences studieren, eine Kombination verschiedener sozialwissenschaftlicher Fächer. Die Inderin Tuhina kommt aus Neu Delhi und wird kurz nach ihrem Studienbeginn 18. Sie hat einen Platz für Bioinformatics. „Medicine meets technology“ umschreibt sie ihr genaues Studieninteresse. Sie hätte auch nach Sydney gehen können, hatte Zusagen für Universitäten in Michigan und Montréal. Und entschied sich wie Sarah für die neu gegründete private IUB auf dem ehemaligen Grohner Kasernengelände in Bremen-Nord. Zusammen mit rund 100 anderen Studierenden werden sie auf dem gerade entstehenden Campus wohnen und studieren – ein Drittel der Studierenden sind Deutsche.

Tuhina und Sarah gehören zum ersten Jahrgang an der IUB. „Klar, wir können niemand fragen, ob es wirklich so gut wird, wie uns versprochen wurde“, sagt Tuhina. Der bunte Prospekt der IUB verspricht jedenfalls den Ausbildungshimmel auf Erden. „IUB is committed to providing its students with an international education of superior quality“, verkündet der Präsident auf der ersten Seite. Als „committed“ in Zusammenhang mit der Ausbildung ihrer Studierenden lassen sich die wenigsten deutschen ProfessorInnen beschreiben. Es gibt nicht einmal ein deutsches Pendant für das Wort. „Wild entschlossen“ vielleicht, mit einem Unterton: „Wir tun alles für euch“. Dafür müssen IUB-Studierende aber auch 30.000 Mark im Jahr bezahlen.

Zum Ausgleich wirbt der Prospekt mit der einzigartigen Chance, das Uni-Leben von Anfang an mitgestalten zu können. „Tremendous leadership opportunities“ heißt das. Tuhina und Sarah freuen sich darauf und planen bereits eine Campus-Zeitschrift oder wollen sich um neue Studierende kümmern.

Ausschlaggebend für Tuhinas Entscheidung war aber nicht nur die in Ausicht gestellte akademische Exzellenz, die ihr auch privat finanzierte amerikanische Universität bieten könnte. Die reizen sie durchaus, aber sind ihr zu groß und vor allem: viel zu weit weg. Erst vor sechs Jahren ist sie mit ihrer Mutter und ihrem 13-jährigen Bruder dem Vater von Neu Delhi nach Hamburg hinterhergezogen. Für drei Monate war sie auf einer staatlichen Schule, aber dafür sei ihr Deutsch noch nicht gut genug gewesen. Also wechselte sie an eine private internationale Schule.

Bei Sarah ist es ähnlich. Aufgewachsen in Den Haag, wollte sie das Heimatland ihrer Eltern kennen lernen und wechselte nach der zehnten von einer amerikanischen Schule zur selben Schule in Hamburg wie Tuhina. „Bis zur fünften war ich in Den Haag auf einer deutschen Schule, aber die war nicht so gut“, sagt sie.

Weder Tuhina noch Sarah haben je daran gedacht, in Deutschland eine staatliche Uni zu besuchen. „Man hört ja so viel von überfüllten Hörsälen“, sagt Sarah. Den beiden fällt auch niemand ein, der in Deutschland an einer normalen Uni studiert. Sie glauben, dass sie sich an einer „normalen“ Uni nicht so wohl fühlen würden, weil ihnen das internationale Flair fehlen würde. „Andere, die immer am gleichen Ort gelebt haben wie in Klein Flottbek, würden das nicht verstehen. Das sind andere experiences“, erklärt Sarah, die sich im Englischen mehr zu Hause fühlt als im Deutschen. Genau benennen können sie die Unterschiede nicht. „Vielleicht sind wir offener“, überlegt Tuhina.

Die 17-Jährige hat viel vor in ihrem Leben. Das naturwissenschaftliche Studium an der IUB, das für die Arbeit in großen Pharmakonzernen oder in der Gen-Forschung qualifiziert, ist nur ein Teil ihrer vielseitigen Interessen. „Ich will viel ausprobieren“, sagt sie. Zurzeit arbeitet sie in einer Multimedia-Firma und träumt von einer Karriere als Journalistin. Auch Jura wollte sie mal studieren. „Ich finde nicht, dass ich jetzt schon einen genauen Plan für mein ganzes Leben haben muss.“ Über das dreijährige Studium an der IUB plane sie nicht hinaus. Vielleicht noch mal nach Indien, im nächsten Sommer zu einer Hilfsorganisation. „Ich möchte meinem Land etwas zurückgeben.“

Sie räumt ein, dass ihre Offenheit auch etwas damit zu tun haben könnte, dass sie sich keine Geldsorgen machen müsse. „Meine Eltern haben mir gesagt, es sei auch kein Problem, wenn ich in den USA studieren will.“ Für das Studium an der IUB ist ihr ein 50-prozentiges Stipendium zugesagt worden – in den USA sei es als „international student“ schwieriger, durch ein Stipendiumgefördert zu werden.

Sarah und Tuhina glauben nicht, dass es in den Wohnheimen der IUB so wild zugehen wird, wie in manchen britischen oder amerikanischen Unistädten. Was sie denn vom Campusleben erwarten? Och, mal sehen, was so kommt, sagen sie und grinsen. Die Vorfreude wird nur dadurch etwas gedämpft, dass die Innenstadt doch etwas weiter entfernt ist, als sie dachten. Campusleben schön und gut. Nach der zwangzigminütigen Zugfahrt hat Sarah eine Menge Fragen. Gibt es viele Clubs in Bremen? Und wo kann man shoppen und Kaffee trinken und gibt es auch wirklich viele junge Leute in Bremen und wenn ja, wo? Eiken Bruhn

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