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Die Krampfhundverordnung

■ Ein Jahr nach Erlass von Maulkorb-und Leinenzwang für so genannte „Kampfhunde“ zieht ein Herrchen Bilanz – eine Polemik von Klaus Jarchow

Dass ich einmal einen Horror vor sonnigen Sonntagen entwickeln könnte, hätte ich noch vor einem Jahr nicht für möglich gehalten: Dann tauchen auf jedem zugewachsenen Feldweg die radfahrenden Städterfamilien mit ihren sturzhelmbewehrten Kids und dem strengen PädagogInnenblick auf, die mich als Strauchdieb betrachten. Ein restlos empörter Vater steigt Anfang Mai sogar ab und bietet an, mir „die Fresse zu polieren“, während Emil, diese „Bestie“ und „Kampfmaschine“, verstört hinter mir in Deckung geht. Es nützt nichts, dass ich dem menschlichen Überschaum zu erläutern versuche, dass mein Hund ganz legal ohne Maulkorb laufen darf. Zumindest in Niedersachsen, wo ich ihn sogar von der Leine lassen dürfe. Er sei Jurist, schnarrt er mich an – und er habe schon ganz andere Leute „gefickt“ als mich. Wortwörtlich – aber dafür finde mal Zeugen dort draußen im Busch zwischen Dipshorn und Vorwerk, mit einem feigen Hund an deiner Seite!

taz-Zwangszensur

Der Rückfall ins Sexuelle und Ordinäre ist fürs Kampfhund-Thema typisch. Angefasst reagieren HundehasserInnen auf jeden Diskussionsbeitrag, der Rasselisten mit Rassismus gleichsetzt. Zuletzt musste das Michelle MacNash erfahren, eine hochangesehene kalifornische Tierschützerin. Nach einem umstrittenen taz-Satireversuch Helmut Höges vom 19. Mai 2001, der die Anliegen von Hundebesitzern mit denen kommunistischer Winkelblättchen gleichgesetzt hatte, meldete Michelle MacNash sich im Online-Forum unser aller Lieblingszeitung zu Wort und nannte die Verordnungen ein typisch deutsches Problem. In einer Reihe von Beiträgen erbrach sich daraufhin Deutschlands rechtschaffene Volxseele: Diese „amerikanische Krawallschachtel“ müsse „mal wieder richtig durchgefickt werden. Überhaupt sollten die Amis sich besser mit der Ausrottung der Indianer im eigenen Land beschäftigen, statt uns Deutsche zu belehren.

MacNash glaubte zunächst, in das Forum einer rechtsradikalen Postille geraten zu sein. Als sie, zugleich EDV-Leiterin eines großen amerikanischen Konzerns im Silicon Valley, mal eben die IP-Klaradressen scheinbar anonym schweinigelnder ForumsteilnehmerInnen sicher stellte, mit dem Staatsanwalt drohte und die taz für Forumsinhalte haftbar machen wollte, kam es erstmals dazu, dass die taz in einem Forum Beiträge wegen ordinärer Inhalte von links für den Publikumsverkehr sperrte. Unter taz.de („Helmut Höge über Hunde“) steht diese Brandstätte der Zensur zur Besichtigung offen.

Katzenkiller von Bernau

Früher lernte ich, dass „Mann beißt Hund“ eine Nachricht sei, nicht aber „Hund beißt Mann“. Den „Katzenkiller von Bernau“, einen Staffordshire-Terrier, den todesmutige Spaziergänger längst problemlos mit Stricken an einen Baum gefesselt haben, richtet die dortige Volxpolizei ungestraft und standrechtlich mit Dutzenden von Schüssen vor laufender Kamera. Diese qualvoll verendende Kreatur hat schließlich „nur“ einen Sozialhilfeempfänger zum Besitzer, der schwer alkoholisiert daherbrabbelt und eine Fülle höchst klischeedienlicher Tätowierungen aufweist.

Das Tier, die Bio-Waffe

Hier liegt auch „der Hund begraben“, denn das so genannte Kampfhundproblem ist vor allem ein soziales Problem: Erstmals hat sich eine nennenswerte Zahl von Angehörigen aus der Unterschicht – von den Jungnazis bis zu den Jungtürken – einen Hund zugelegt. Weil diese jungen Suburbians in einer sehr viel härteren Welt als unsereins leben, wählen sie natürlich jene Hunde, die ihnen die Medien seit Jahren schon als besonders aggressiv, furchteinflößend, imagestiftend und „rolexhaft“ anpreisen. Als Bio-Waffe und Imponierbello hätte ein Schäferhund, ein Hovawart oder ein Golden Retriever unter Zuhilfenahme von schwarzer Pädagogik es allerdings ebenso gut getan.

Populistischer Humbug

Den tauben Ohren der Politiker und Journalisten predigen das alle Wissenschaftler von Rang und Namen. Heute haben Deutschlands Innenbehörden nirgends mehr Fachleute auf ihrer Seite, die etwas anderes behaupten.

Während also die eine Seite zunehmend aus obskuren Hobby-Hundebüchern zitieren muss, sammelt sich auf der anderen alles, was Rang und Namen hat. Die gesamte Verhaltensforschung, alle biologischen Fakultäten dieser Republik, alle TierärztInnen, ihre Hochschulen und Verbände sowieso, alle TierschützerInnen, die meisten Tierheime, ebenso die Leiter aller Polizeihundeschulen – sie alle halten Rasselisten für pseudowissenschaftlichen Quatsch und populistischen Humbug.

Ein Beleg von vielen: Herr Maciejewski, Leiter des Arbeitskreises der diensthundeführenden Behörden des Bundes und der Länder, bestreitet als Chef aller Hunde, die im staatlichen Auftrag schnüffeln und bellen, die Annahme, dass Aggression vererbbar sei. Bei einer Anhörung vor dem Berliner Ausschuss für Gesundheit und Soziales am 22. März 2001 sagte er: „Wenn wir Hundeaggression züchten könnten, hätten wir es bei der Polizei sicher lange gekonnt und gemacht. Es ist uns aber nicht gelungen (...). Wir haben, nachdem wir in Nordrhein-Westfalen eine gezielte, koordinierte Zucht über 13 Jahre laufen haben, das Aggressionspotenzial nicht verbessern können.“ Mit anderen Worten: Aggression läßt sich nicht züchten.

Kein Wunder, dass immer mehr Gerichte angesichts der dürftigen Faktenlage gegen den offenbaren Unsinn von Rasselisten entscheiden - wohl auch deshalb, weil die Zahl der Beißvorfälle trotz der Hundeverordnungen kaum zurückgeht.

Beißgewaltige Siegerin

Hoffnungslos aber ist es, gegen die allgegenwärtigen „Spinnen in der Yucca-Palme“ zu kämpfen. Da gibt es das Märchen von den drei Tonnen Beißkraft, die Pitbull & Co laut BILD-Zeitung, Deutschlands führendem Fachblatt für Hundefragen, entwickeln sollen. Frisch vom Boulevard geistert diese Zahl durch jedes PolitikerInnen-Statement, und selbst die juristischen Schriftsätze der Innenbehörden sind gespickt mit solchen „Tatsachen“. Fakt ist, dass es weltweit nur eine einzige Untersuchung zur Beißkraft gibt. Sie stammt von amerikanischen WissenschaftlerInnen der Universität Athens in Georgia. Die ermittelten in den 90er Jahren beim American Pitbull mit Hilfe präparierter Kauknochen maximale 400 kp Beißkraft, während als beißgewaltige Siegerin eine Golden-Retriever-Hündin vom Platz ging.

Ein weiteres Beispiel: Genetisch schon seien bestimmte Rassen eine Riesengefahr, heißt es in allen Gassen. Der simple Fakt, dass bis heute kein Wissenschaftler die Rasse eines Hundes genetisch von derjenigen eines anderen unterscheiden kann, erschüttert die unbeleckten RassebiologInnen und kynologischen HobbytheoretikerInnen keineswegs. Die Folge: Es regiert der Augenschein – und der Willkür ist Tür und Tor geöffnet. Besitzer eines Bulltierriers mit einem gewieften Anwalt an ihrer Seite könnten jederzeit bestreiten, dass ihr Hund zu dieser oder jener Rasse zähle. Niemand könnte ihnen wissenschaftlich nachweisen, dass ihr Hund kein Mischling sei.

Die Politik aber verhält sich faktenresistent und spricht nur ungern und sehr wolkig über „Erfolgszahlen“. Wer eine solide, nach Rassen sortierte Beißstatistik vor und nach der Hundeverordnung erhalten möchte, beißt politisch auf Granit, vor allem deshalb, weil der wähler-, einfluss- und polizistenreiche Schutzhundverband VDH aus der Schusslinie genommen werden muss.

Lautes Brüllen

Auch wenn viele den Sachverhalt gern etwas einfacher hätten: Das Problem beginnt im Kopf der Halter – und dort sieht es vielfach nicht gut aus. Fahre ich bei Fischerhude oder anderswo an „Hundesportvereinen“ vorbei, dann registriere ich Stachelhalsbänder, höre lautes Brüllen, sehe Hunde, die vom Stroharm der Figuranten baumeln, und staune über gehäkelte Klopapierrollenschoner in den Heckfenstern der Autos. Kein Wunder, dass die Münchner Polizei einen Club biederer Sporthundefreunde vor einigen Monaten irrtümlich „aushob“, weil sie dachte, sie hätte es mit illegalem Kampfhundetraining zu tun.

Wer freundliche Hunde will, muss beim Besitzer anfangen, Meldepflicht und Versicherungspflicht für alle Hunde festschreiben, Schutzhundausbildungen verbieten, Altersgrenzen setzen und Drogen-, Milieu- und AggressionstäterInnen von der Hundehaltung ausschließen, statt populistisch Rasselisten in heißer Luft zu schwenken.

Emil gut aufgemischt

Mit Emil sind wir bisher so verfahren, wie das Gesetz und das Wohl unseres Hundes es uns befahlen. Mit allen Widersprüchen, die daraus folgen: Unser Hund ist „gechippt“, er ist versichert und hat den mehrstündigen Wesenstest in Niedersachsen ohne einen einzigen Punkt Abzug bestanden. Nutzen tut ihm das nichts. In Bremen bleibt die Maulkorbpflicht bestehen.

Auch in Niedersachsen rettet Emil nicht der Wesenstest, sondern ein kleines Rasseschlupfloch im Netz der Paragraphen: Mein Hund gilt dort als Mischmasch. Seine Mutter ist nachgewiesenermaßen eine trächtige Mischlingshündin aus dem Tierheim. Der Vater konnte unerkannt entkommen. Daher kann es nicht ausgeschlossen werden, dass Papi ebenfalls ein Mischling war. Sind aber beide Elternteile Mischlinge, dann zählt der Hund in Niedersachsen nicht zu den gefährlichen Rassen.

Was bin ich froh, dass mein Hund keine Rasse hat, auch wenn er anders aussieht! Charakterlich folgt für mich aus dem Kampf gegen die Hundeverordnungen eine täglich größere Menschenfeindschaft und eine steigende Verachtung für boulevardfixierte PolitikerInnen jeder Couleur. Um William S. Burroughs zu zitieren: „Wo bleibt die Kavallerie, das Raumschiff, das Rettungsteam? Wir sind alleingelassen auf diesem Planeten, und den regieren verlogene Drecksäcke mit bescheidenen Geistesgaben. Ohne Verstand und ohne einen Hauch von guten Absichten.“

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