: Hochfliegende Straßenpläne
■ Der Rest vom Wirtschaftswunder steht zur Disposition: die Hochstraße / Wäre ihr Abriss eine einmalige Chance fürs Quartier oder bloß eine Verschlimmbesserung?
Das waren noch Zeiten vor vierzig Jahren: Wirtschaftswunderland und Autoboom. Da wurde noch groß und entsprechend autogerecht geplant – für die Massen, die da irgendwann mal rollen sollten. Von einer Million Einwohnern plus Autos war mal die Rede. Und so installierte man Hochstraßen. Nicht nur in Bremen, sondern in so ziemlichen allen Nachkriegsgroßstädten. Der US-Import „Fly-Over“ sollte ein bisschen L.A.-Fahrgefühl in die deutschen Boomtowns bringen: freie Fahrt, für freie Bürger.
Heute stöhnt die Nachwelt über die hässlichen Relikte, die Schneisen und Narben in die Quartiere geschlagen haben. „Was der Krieg nicht kaputt gemacht hat, hat die Hochstraße geschafft“, klagen manche, seitdem es das Ding am Breitenweg gibt. In Hannover wurde die erste Hochstraße inzwischen wieder abgerissen. Nicht weil sie so hässlich, sondern weil sie so marode war. Aufbauen wollte man sie trotzdem nicht mehr – kein Bedarf.
Ein Vorbild für Bremen? Wo man doch das Investorengrundstück auf dem Bahnhofsvorplatz bislang nicht losschlagen konnte – bei vier Stockwerken hoch Aussicht auf die Hochtrasse. Außerdem ist ohnehin nicht mehr viel los auf der Hochstraße: 20.000 Autos laufen täglich über den Rembertiring, die sich dann verteilen. Die vielen neuen Einwohner und ihre Autos, mit denen man vor vierzig Jahren geplant hatte, sind nie gekommen.
Im Bauressort habe man inzwischen mit der „Ideen-Suche“ begonnen, so Sprecher Olaf Joachim. Denn irgendwas müsse passieren (die taz berichtete). Von Abriss, möglichen Kosten oder gar einem Tunnelbau könne aber noch nicht die Rede sein – soweit sei man nicht. „Bei einer Schwangerschaft würde man sagen, wir sind im ersten Monat, haben aber noch nicht mal ein Ultraschallbild“.
Aber auch ohne Pläne – die Diskussion um ein vorzeitiges Ende der Hochtrasse ist jedenfalls eröffnet. Ein Streit um Stadtentwicklung, Verkehrsprobleme und Geschmack. Die Gemengelage: Abreißen, fordert zum Beispiel Karin Krusche, baupolitische Sprecherin der Grünen. Zu teuer, fände das die CDU. Das würde alles nur noch schlimmer machen, halten manche Architekten dagegen.
Konkret sehen die Vorschläge so aus: Nach Ansicht der Grünen, wäre ein Tunnel richtig gut angelegtes Geld. Da könne man oben einen breiten Fußgängerboulevard mit viel Grün gestalten. „Von einem Tunnel hätten alle was: Autofahrer unten, Fußgänger oben.“ Und der Hemelinger Tunnel sei der großen Koalition doch auch 350 Millionen Mark wert gewesen.
Völlig unrealistisch und unfinanzierbar sei sowas, kontert dagegen die CDU. Bausenatorin Tine Wischer (SPD) solle sich „drängenderen Verkehrsproblemen“ stellen, fordert der baupolitische Sprecher Helmut Pflugradt. „Nach 20 Jahren städtebaulicher Fehlgriffe durch die SPD hat Frau Wischer andere Dinge abzuarbeiten.“
Auch Ex-Staatsrat Eberhard Kulenkampff (SPD) hat sich in die Debatte eingeschaltet – für die Hochstraße mit ihren „eleganten Pfeilern und der schönen Untersicht“. Ähnlich wie bei den S-Bahnbögen in Berlin könne man hier Cafés und Einzelhandel ansiedeln. „Das Problem ist doch, dass die Hochstraße gar nicht benutzt wird – das ist doch bekloppt.“ Der Verkehr müsse wieder hoch, damit man die untere Ebene wiederbeleben kann.
Ein Abriss der Hochstraße würde nur Schlimmeres offenbaren, glaubt auch der Präsident der Architektenkammer Wilfried Turk: „Dann stehen die brutalen Fassaden am Breitenweg noch fürchterlicher da.“ Auch mit ein paar angepflanzten Bäumchen sei das nicht zu retten. Und ob der Aufwand dafür lohne, potenzielle Investoren anzuziehen, sei ohnehin fraglich. Auch von einem Boulevard hält Turk nichts. „Wo sollen die Fußgängerströme denn herkommen? Mit 48.000 Quadratmetern Space Park und noch mehr Fläche im Weserpark brauchen wir selbst die Fußgängerzone bald nicht mehr.“ Und die Hochstraße?
Dorothee Krumpipe
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