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„Hysterie machen wir nicht mit“

Vor dem Saisonstart in die Bundesliga gibt sich Hertha-BSC-Manager Dieter Hoeneß noch vorsichtig optimistisch über die Meisterschaftsambitionen des Klubs. Aber sicher ist: Hertha hat die beste Mannschaft seit langem, und „die wird angreifen“

Interview MARKUS VÖLKER

taz: Droht Hertha BSC vor dem Start der Bundesliga von den hohen Erwartungen in Berlin überrollt zu werden?

Dieter Hoeneß: Nein, das glaube ich nicht. Das ist immer so. Läuft es schlecht, dann sagt man, wir schlittern in eine Krise. Und wenn es gut läuft, dann sieht man auch schwarz. Ich sage Ihnen: Es gibt nichts Positiveres als eine optimistische Grundhaltung.

Das bedeutet?

Jeder Normaldenkende weiß, dass erst mal vier Mannschaften da sind, die das Rennen machen können. Und es ist doch toll, dass Hertha da mitten drin ist; dass wir mittlerweile schon ein bisschen weiter schauen können, als zum fünften Platz, auch wenn ich sagen muss: Es ist immer wieder eine Leistung, unter die ersten fünf zu kommen. Wenn man das nachhaltig bestätigen kann mit Ausreißern nach oben, dann wäre das schon großartig.

Tatsächlich?

Ich denke nicht, dass dieses Anspruchsdenken reell ist. Damit ist eine Sehnsucht verbunden, die 70 Jahre lang nicht befriedigt worden ist.

Deswegen wurde auch der Gewinn des Liga-Pokals als „Minimeisterschaft“ bejubelt?

Ich will den Liga-Pokal nicht kleinreden. Das waren Vorbereitungsspiele. Aber es ging auch um einen psychologischen Wettbewerbsvorteil. In der Vorbereitung will man einfach gegen Mitkonkurrenten gewinnen.

Wenn man Berlins bunte Blätter liest, entsteht der Eindruck, Hertha sei schon im Besitz der Meisterschale!

Das kennen wir doch schon. Als wir in der letzten Saison vorne waren, sind schon Teile der Schale abgebildet worden. Das sollte man nicht überbewerten. Boulevardblätter überzeichnen im positiven Sinne wie im negativen.

Positiver Medien-Hype bedeutet also: Hertha ist in leidlicher Form?

Das Wichtige ist doch, wie der Verein mit diesen Stimmungsschwankungen umgeht. Fakt ist: Wir verlieren keineswegs die Bodenhaftung. Wir wissen ganz genau, dass gegen St. Pauli ein ganz anderer Wind weht.

Sie selbst kokettieren nicht mit dem Titel?

Das hat mit Koketterie nichts zu tun. Wir haben unsere Ziele klar definiert. Wir sprechen nicht zuerst vom Titel und dann von Platz drei, sondern umgekehrt. Das ist eine andere Diktion. Allerdings werden wir das Thema Meisterschaft anders angehen, als wir es zuletzt getan haben. Wir haben aus den Erfahrungen der letzten Saison gelernt.

Das heißt?

Wir werden offensiver damit umgehen. Einfach angreifen. Wir wissen, wir kommen immer näher oben ran. Für eine Favoritenrolle reicht’s freilich noch nicht. Die wollen wir uns irgendwann in den nächsten Jahren erarbeiten. Das ist unser Ziel. Und wir sind froh darüber, dass wir zu den Titelaspiranten gezählt werden. Das haben wir nicht geschenkt bekommen.

Wie lange noch kann sich Hertha vierte Plätze leisten?

Mir gefällt die Intention der Frage nicht. Ich glaube, dass wir uns selbstverständlich vierte und fünfte Plätze leisten können. Wir wollen aber auch in den nächsten Jahren den Titel holen. Und man bedenke: Es liegt noch gar nicht so lange zurück, da ist der FC Bayern München nur Zehnter geworden, 1992. Diese Rückschläge kommen auch. Nochmals zu Ihrer Frage: Natürlich kann sich Hertha diese Plätze leisten. Warum nicht? Eine Hysterie machen wir gar nicht mit.

Durch die Öffentlichkeit spukt die Unterzeile: Bestes Team aller Zeiten. Die guten Zeiten der Siebziger werden heraufbeschworen. Im vergangenen Jahr waren die Erwartungen gedämpfter.

Wir haben die Substanz gehalten und zusätzliche Substanz gewonnen. Seit dem Aufstieg ist es die beste Mannschaft. Zu Recht sind die Leute optimistisch gestimmt. Das offensive Spiel läuft. Was im Mittelfeld produziert wird, lässt sich sehen. Viele Torchancen werden herausgespielt.

Aber allein die Bundesliga richtet über die Form des Teams!

Sicherlich gibt es einen Unterschied zwischen Vorbereitung und Bundesliga. Wir glauben nicht, dass es von selber läuft. Das wäre der größte Fehler. Aber die Leute sind euphorisch, weil die Vorbereitung gut lief. Die Euphorie will ich gar nicht dämpfen. Dazu haben unsere Fans das gute Recht. Wenn wir, die Verantwortlichen, euphorisch wären, wäre es ein Fehler. Wir sollten also diesen Rückenwind nutzen, aber nicht abheben.

Für den Bodenkontakt garantieren Sie?

Schauen Sie, die einen neigen dazu, die Welt rosafarben zu sehen. Die anderen gießen ständig Wasser in den Wein. Nein, es ist wie immer die goldene Mitte. Wir wissen doch selber noch, was wir alles verbessern müssen.

Zum Beispiel?

Wir haben Lehren aus der vergangenen Saison gezogen. Nämlich, dass wir in vielen Spielen mithalten können, aber die entscheidenden Partien selbst verschuldet hergeschenkt haben und dass wir einfach nicht den Mut hatten, offensiv zu spielen. Ich denke an Freiburg, an Köln. Das sind Spiele, da hast du den Gegner im Griff. Auch beim 0:3 in Cottbus. Nur haben wir es versäumt zuzuschlagen.

Kann das Team jetzt gnadenlos zuschlagen?

Die Mannschaft hat sich entwickelt. Sie traut sich jetzt mehr zu. Geht mental gestärkt in die Spiele. Ich will die Lage nicht sezieren, aber ich glaube schon, dass wir in dieser Hinsicht weitergekommen sind. Das müssen wir beweisen. Es werden Klippen kommen.

Ist der Auftakt gegen St. Pauli eine Klippe?

Auf jeden Fall. Gerade deshalb, weil wir im Liga-Pokal Bayern München, Leverkusen und Schalke geschlagen haben. Heute habe ich Franz Beckenbauer (seine Kolumne in „Bild“, d. Red.) gelesen. Er schrieb von diesem „kleinen, bösen Männchen“, das im Hinterkopf sitzt und sagt: „Ja, wer ist denn St. Pauli.“ Wenn wir diese Klippe umschiffen, können wir den Kampf aufnehmen. Dann sind wir die bessere Mannschaft und gewinnen. Ansonsten verlieren wir. So einfach ist Fußball.

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