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Reine Energie

Der Exzess wollte sich zunächst nicht so recht einstellen: Record-Release-Party von Audio Chocolate im Mudd-Club

Berlin ist langweilig. Deshalb versucht der Mudd-Club inzwischen verstärkt etwas dagegen zu tun. Als Stachel im Herzen von Mitte, in direkter Nähe zu den Hackeschen Höfen, soll hier an das legendäre Suicide und die Anfangstage des Maria angeknüpft werden. Hier treten die ganze Woche lang irgendwelche Garage-Punk-Bands aus Texas auf, und wer hier hinter den Plattentellern stehen will, sollte sich schon DJ Swamp Thing oder so nennen. Im Mudd Club soll der unverfälsche Sound der wilden Tage des Rock ’n’ Roll heraufbeschworen und die Ära simuliert werden, in der sich der Rockchronist Nik Cohn noch so richtig wohl fühlen konnte und noch keine Sgt.Peppers aus Rock Kunst machen wollten.

Der Mudd-Club war somit die perfekte Location zur Feier der ersten Compilation des nun verstärkt ins Rampenlicht treten werdenden Label Audio Chocolate. Die von Patrick Catani, N1tro und Bomb 20 ins Leben gerufene Plattform für musikalische Exkremente und Absonderlichkeiten definiert sich wie der Mudd Club ex negativo: Alles, was sich dem Zeitgeist verschrieben hat oder auch nur Anflüge von Kommerzialität aufweist, muss leider draußen bleiben. Und DHR, aus dem das Label indirekt hervorgegangen ist, immerhin ist es die ehemalige Heimat vom Bomb 20 und Catani, soll im Vergleich zu Audio Chocolate wie ein verkommener Laden für Kunststudenten wirken.

So fand man sich dann ein zur Record-Release-Party von „Ignorance Is Bliss“, um das Unerwartete zu erwarten. Und an dieser Erwartungshaltung krankte der Abend dann auch streckenweise. Wer Acts wie Carl Crack, Cobra Killer und Pocket Rocket auch nur entfernt kennt, weiß jedenfalls, dass sie dafür stehen, irgendwie brutal, kompromisslos, verrückt oder sonstwie extrem zu sein. Und wenn dann in übelsten DJ-Sets Klirrnoise und digitaler Schrott serviert werden, dann ist das eben doch der Sound von gestern und statt einer Schockwirkung setzt eher ein genervter Abwehrreflex ein.

Die ganze Berlin-Extremtrash-Szene köchelt ein wenig zu sehr im eigenen Saft. Man möchte die Leute aufrütteln, und dann gehen zu ihren Veranstaltungen doch immer nur diejenigen hin, die da immer hin gehen. Nicht ohne Grund. Etwa Pocket Rocket sind eine super Band, doch all zu oft lässt man sich von ihrer doch immer gleichen Show mit Hemd-vom-Leib-Reißen und Ficken mit dem Mikrophon nicht in Exstase versetzen. Auch die Performance von Barbara Brockhaus, die eine Diashow zeigte und gelegentlich zu den Beats die Gitarre klampfte, sich dazu aber noch als infantile Peaches übte, hatte etwas arg viel von durchgenudeltem Riot-Girl-Gestus auf Trash-Art-Ebene an sich.

Die richtig wilde Party, der Exzess, wollte sich jedenfalls nicht so recht einstellen. Bis es dann endlich soweit war. Die HipHop-Sensation Dälek aus New York enterte die Bühne, und vorbei war es mit Trash aus der Tupperdose. Das hier war reine Energie, Underground-HipHop in seiner Essenz und doch ganz anders. Vorne rappte ein schwitzender Fleischberg, hinter ihm bastelte einer Beats am Laptop, und am DJ-Pult machte sich ein Berserker mit dem wahrscheinlich ausuferndsten Afro aller Zeiten zu schaffen.

Sein Umgang mit den Plattenspielern lässt sich mit Scratchen nur sehr ungenau umschreiben. Die Plattennadel kratzte über das Vinyl, das förmlich Schmerzen zu erleiden schien, und generierte einen stakkatoartigen Beatlärm, der die Raps auf ein abartig hohes Energielevel beschleunigte. Das war New Yorker Underground, und plötzlich wirkte Berlin mit seiner Szene ein wenig wie Kaiserslautern. Doch wenn Audio Chocolate sich auch in Zukunft solche Acts wie Dälek leistet, dann sollte man sich zumindest für das Label keine Sorgen machen.

ANDREAS HARTMANN

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