: Graphothek bald mit Einschaltquote?
■ Nach Übernahme der Kunstsammlung durch die Stadtbibliothek befürchtet der Künstlerverband bbk „Verwässerung der Qualität“ / Bibliothek weist Vorwurf zurück
Der Weg zur öffentlichsten aller Bremer Kunstsammlungen endet derzeit bei einem Anrufbeantworter. „Die Graphothek hat vor rübergehend geschlossen“, meldet sich eine Stimme unter dem Anschluss der städtischen Kunstausleihe. Am 16. August, so heißt es weiter, werde die Graphothek als Einrichtung der Stadtbibliothek „im Rahmen einer kleinen Feier“ wiedereröffnet. Doch es gibt Leute in der Stadt, denen in dieser Angelegenheit gar nicht nach feiern zu Mute ist.
Einen Qualitätsverlust in der rund 3.000 Blätter und Kleinskulpturen umfassenden Sammlung befürchtet der Bremer KünstlerInnenverband bbk. In einem offenen Brief an den designierten Kultursenator Kuno Böse (CDU) fordert der Verband, dass auch in Zukunft eine Fachjury über Neuerwerbungen entscheidet.
Außerdem will der bbk, dass die gesamte Sammlung ausleihbar bleibt und nicht „nach zielgruppenspezifischen Gesichtspunkten“ sortiert wird. Anlass des offenen Briefes ist ein Votum des Eigenbetriebsausschusses, quasi des Aufsichtsrates der Stadtbibliothek. Demnach, so fürchtet der bbk, sollen die Regeln zur Aufnahme neuer Kunstwerke in die Sammlung gelockert werden.
Seit Gründung der Graphothek 1975 wachen strenge Augen von KunstkennerInnen aus Bremen, Hamburg und anderen Städten über die Aufnahme neuer Kunstwerke in die Sammlung. So wuchs eine Kollektion mit Arbeiten international und regional bekannter MalerInnen, GraphikerInnen und BildhauerInnen heran.
Bis vor fünf Jahren gab es noch einen Ankaufsetat, erinnert sich Rose Pfister von der Städtischen Galerie. Die Ausschreibungen für diese Ankäufe hatten eine im Vergleich zu anderen Wettbewerben überraschend große Resonanz. Zurzeit kommen als neue Beiträge nur noch Arbeiten aus dem Programm der sozialen Künstlerförderung hinzu, bei dem KünstlerInnen im Gegenzug für die Sozialhilfe-Alternative der Stadt Arbeiten überlassen. Unter KünstlerInnen ist das Renommée der Sammlung so groß, dass sie ihre Lebensläufe gern damit schmücken, wenn sie in der Graphothek vertreten sind. Neben dem bbk befürchtet auch Rose Pfister, dass sich das nun ändern könnte.
Nach Pfisters Angaben soll die Fachjury nur noch bei Ankäufen entscheiden. Bei Schenkungen wolle sich die Stadtbibliothek das Recht vorbehalten, auf ein Juryvotum zu verzichten. Die Leiterin der Abteilung Benutzungsdienste, Marianne Brauckmann, versteht die Aufregung nicht: „Wenn uns Bücher geschenkt werden, stellen wir die doch auch nicht einfach ins Regal.“ Auch Kulturstaatsrätin Elisabeth Motschmann (CDU) steht hinter dem Beschluss des Eigenbetriebsausschusses. Sie betont, dass die Graphothek durch die Übernahme in die Stadtbibliothek erhalten werde.
Tatsächlich stand das Relikt aus den Kultur-für-alle-Zeiten der 70er Jahre schon mehrfach vor dem Aus. 1996 konnte sich die Stadtbibliothek das im Teerhof untergebrachte Renommierprojekt mit Originalen von weltberühmten KünstlerInnen wie Roy Lichtenstein und Richard Hamilton oder regionalen Größen wie Marikke Heinz-Hoek oder Harald Falkenhagen nicht mehr leisten. Damals trat das Referat für Bildende Kunst als Retter auf. BremerInnen, die öfter mal was Neues an ihre Wohnzimmerwand hängen wollen, oder ÄrztInnen mit Lust auf Kunst im Wartezimmer fuhren seither in die Städtische Galerie, um ihren Zach oder Sol Le Witt auszuleihen.
Doch nun ist Carola Werner, die Betreuerin der Graphothek, aus dem öffentlichen Dienst ausgeschieden. Ohne die Stadtbibliothek, die die Sammlung in ihre neue Zentrale im Polizeihaus eingliedern will, wäre es damit vorbei gewesen. Der KünstlerInnenverband bbk traut der inzwischen zu einem Eigenbetrieb umgewandelten Stadtbibliothek den pfleglichen Umgang mit der Sammlung offenbar nicht zu. Eine zunehmend auf Eigeneinnahmen angewiesene Bibliothek schaut auch auf die Quote. „Dann“, fürchtet bbk-Geschäftsführer Uwe Martin, „werden nur noch Bilder verliehen, die ins Bücherregal passen.“
Die Bibliotheksfrau Marianne Brauckmann schüttelt den Kopf: Das Ziel sei, die gesamte Sammlung weiter zugänglich zu halten. „Natürlich müssen wir auch auf die Bedürfnisse der Nutzer achten.“ Sowohl sie als auch Motschmann kündigten an, den Konflikt mit dem KünstlerInnenverband klären zu wollen. ck
Die Graphothek wird am 16. August in der Städtischen Galerie wiedereröffnet und kann donnerstags von 15 bis 20 Uhr aufgesucht werden.
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