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„Scharping-Töchter“ unter Verdacht

Köpenickiade mit strafrechtlichem Nachspiel: Der Staatsschutz ermittelt jetzt gegen zwei Frauen, die sich als angebliche Töchter des Bundesverteidigungsministers Zugang zur Bundeswehr-Gelöbnisfeier verschafft hatten– wegen Bundeswehr-Beleidigung

von PLUTONIA PLARRE

Sie hatten die Lacher auf ihrer Seite. Nur der Staatsschutz versteht keinen Spaß. Gegen zwei Frauen, die sich am 20. Juli beim Rekrutengelöbnis im Bendlerblock als die Töchter von Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) ausgegeben hatten, wird jetzt ermittelt. Der Vorwurf: Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und Beleidigung der Bundeswehr. Nach dem Legalitätsprinzip sei man dazu verpflichtet, sagte ein Polizeisprecher gestern.

Die beiden Frauen hatten sich kurz vor dem Beginn des Gelöbnisses im Hotel Adlon einen 500er-Mercedes mit Chauffeur gemietet. Dem Fahrer erklärten sie, sie seien Rudolf Scharpings Töchter. Der Wagen passierte alle Sicherheitskontrollen, trotz strikter Anweisung zum Abgleich der Personalien mit der Gästeliste. Am Appellplatz angekommen, sprangen die Frauen aus dem Wagen. Eine kettete sich mit Handschellen an den Zaun, die andere warf gellende Sirenen auf den Boden. Bei ihrer Festnahme durch Feldjäger sollen sie gerufen haben: „Bundeswehr ist Scheiße.“ Zu der Aktion hatten sich die JungdemokratInnen/Junge Linke bekannt.

Schon 1999 hatte die Gruppe bei einem Gelöbnis spektakulär Aufsehen erregt. Damals waren mehrere Demonstranten nackt und mit Farbe beschmiert über den Appellplatz gerannt. Damals hatte die Bundeswehr noch Strafanzeige erstattet.

„Im Vergleich zu den Rauchbomben, die früher geworfen wurden, war die Aktion richtig lustig“, heißt es bei den Streitkräften. Auch Verteidigungsminister Scharping soll Zeitungsberichten zufolge herzlich gelacht haben, als er von dem Zwischenfall erfuhr. Er habe sogar „Respekt vor dem Einfallsreichtum“ der Militarisierungsgegner geäußert, erzählt man sich.

Eine Sprecherin der JungdemokratInnen/Junge Linke kommentierte das Ermittlungsverfahren gestern mit den Worten: „Wenn es zwei jungen Frauen mit einer Köpenickiade aufs Einfachste gelingt, durch eine 2.000 Mann starke Sicherheitssperre zu kommen, kann ich verstehen, dass die Herren ärgerlich sind und überreagieren.“ Man sehe dem Ausgang des Verfahrens aber gelassen entgegen.

Der Sprecher der Kampagne gegen Wehrpflicht, Ralf Siemens, hält die Vorwürfe für konstruiert, um die Militarisierungsgegner zu kriminalisieren. Dass Polizei und Staatsanwaltschaft damit nicht weit kämen, habe die Rechtsprechung des Kammergerichts gegen die Erstunterzeichner des Aufrufs gegen die Beteiligung von Bundeswehrsoldaten am Kosovokrieg vom April 1999 gezeigt. Die Staatsanwaltschaft sprach seinerzeit von einem Aufruf zur Fahnenflucht, das Kammergericht teilte die Auffassung, dass es sich um freie Meinungsäußerung handele.

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