Die Pizza-Connections

Die Zukunft liegt hinter uns

Wie bereits mehrfach berichtet, hat die Pizzeria Da Flore am Kottbusser Damm 88 eine der besten italienischen Küchen in Berlin. Salvatore Flore stammt von Sardinien. In Algero, wo er herkommt, wird noch immer katalanisch gesprochen, so dass er vermutet, dass sein Name spanischen Ursprungs ist.

Er ging 1959 als 17-Jähriger nach Deutschland. Zunächst bekam er einen Job als Bauhilfsarbeiter in Esslingen, dann war er Arbeiter in einer Metallfabrik in Bad Canstatt und schließlich bei Mercedes in Untertürkheim. „Ich musste Kurbelwellen bohren.“ 1961 entdeckte er im Arbeitsamt ein Plakat: „Deine Zukunft in Berlin“. Zusammen mit vier Kumpeln stattete er zu Ostern der Frontstadt einen Besuch ab. In der Zehlendorfer Perlonfabrik „Spinne“ freute man sich über ihren Besuch – die deutschen Arbeiter verließen scharenweise die Stadt: „Haben Sie auch keine Angst vor den Russen?“, fragte der Personalchef Salvatore Flore, der als Einziger in der Gruppe Deutsch sprach. Er glaubte zwar auch an den Einmarsch der Russen, hatte jedoch keine Angst davor: „Der Propaganda traute ich nicht, zu Hause war ich Mitglied der KP.“

Wieder zurück bei Mercedes, bot man ihnen 20 Pfennig mehr pro Stunde, wenn sie nicht nach Berlin gingen. Einem wurden sogar 60 Pfennig geboten – der blieb dann auch bei Mercedes. Die anderen vier gingen nach Berlin. Bei der zum Hoechst-Konzern gehörenden Spinne in Zehlendorf kamen sie in einer neuen Abteilung unter, wo Trevira – für Auslegeware und anderes – hergestellt wurde. Erst einmal stellte man ihnen aber einen Dolmetscher zur Verfügung, der ihnen Berlin zeigte. Salvatore Flore blieb 15 Jahre dem Betrieb treu. Ein Freund von ihm besaß am Ku’damm das italienische Restaurant „Villa Borghese“, später ein zweites in der Bismarckstraße. Dort arbeitete er nach Feierabend noch mit. „Ich war mit einer Deutschen verheiratet. Wir hatten zwei Kinder. Es gab damals nur ein paar italienische Restaurants in der Stadt. Die Banken gaben keine Kredite an Gastarbeiter. Da sind dann italienische Firmen eingesprungen. Und schließlich haben sich auch die Banken geändert. Denn der Markt ist schier explodiert. In den Restaurantküchen wurden bald die ersten Araber und Albaner schwarzbeschäftigt, die haben da gelernt – und sich dann mit eigenen Pizzerien selbstständig gemacht. Ich habe aber meine Küchenhilfen immer zum Einkaufen weggeschickt, wenn ich Soßen gemacht habe oder den Pizzateig. Das ist ein Geheimnis, das ich nicht jedem verrate.“ 1977 verlagerte Hoechst seine Trevira-Produktion nach Chile, dort bekamen die Arbeiter während der Pinochet-Diktatur 30 Pfennig pro Stunde. Salvatore Flores Abteilung wurde aufgelöst, er bekam eine Abfindung. Zwar wollte ihn dann die Spinne runtergestuft in einer anderen Abteilung weiterbeschäftigen, aber er kaufte sich 1978 die Pizzeria am Kottbusser Damm.

„Wenn ich Probleme hatte, half mir mein Freund, sogar mit Leuten aus seinem Restaurant in der Bismarckstraße. Renoviert habe ich größtenteils selbst. Das Geschäft lief gut. Ich kaufte mir in meinem Dorf Orosei ein Grundstück – und wollte bauen. Das habe ich dann aber sein lassen. Als die Kinder groß genug waren, haben sie im Geschäft mitgeholfen.“ Der Sohn machte eine Lehre, die Tochter studierte Medizin. „Ich war sehr stolz auf sie, aber dann hat sie das Studium abgebrochen.“

Salvatore Flore besaß damals eine Vespa 130 GS. Mit der fuhr er oft nach Ostberlin ins Tanzlokal „Melody“, wofür er vorher am Bahnhof Zoo Ostmark eintauschte, die er im Scheinwerfer der Vespa versteckte – „manchmal bis zu 6.000 Mark“. Die Italiener durften 48 Stunden in Ostberlin bleiben. Mit einem geliehenen chilenischen Pass besuchte er das Studentenwohnheim in Biesdorf, wo er eine Freundin hatte. Als diese schwanger war, bekam er eine Vorladung vom Jugendamt Spandau: „Trotz Kalten Kriegs arbeiteten die Jugendämter in Ost und West zusammen, ich musste Alimente zahlen.“ 1980 zog er nach Kreuzberg in die Ritterstraße. Langsam lief sein Geschäft immer schlechter, der Kottbusser Damm veränderte sich und geriet mehr und mehr in türkische Hand.

Salvatore Flore hat inzwischen das Vertrauen verloren, dass es mal wieder besser werden könnte. „Aber insgesamt hatte ich eine schöne Zeit, mein Geschäft war die einzige Pizzeria dort. Meine Frau hat das Lokal gemacht und ich die Küche. Heute spiele ich im Lotto. Meine Frau und ich sind geschieden. Als reguläre Bedienung arbeitet jetzt Margerita bei mir, eine Tschechin. Wenn ich mehr Zeit hätte, könnte ich billiger einkaufen, statt telefonisch oder elektronisch alles zu bestellen. Das Internet gefällt mir überhaupt nicht. Was für eine Ware bekomme ich da? Das ist alles Scheiße – zu unpersönlich.“

HELMUT HÖGE