Digitales druckt sich schlecht

Morgen erscheint das New-Economy-Blatt „Net-Business“ des Verlags Milchstraße zum letzten Mal. Und teilt damit das Schicksal vieler Internetzeitschriften, die allmählich vom Markt verschwinden

von KONRAD LISCHKA

„Das Internet wird nicht mehr so spannend sein“, sagte der Netscape-Mitbegründer Marc Andreessen dem Gründermagazin Business 2.0 im Frühjahr. Tatsächlich wurde Ende April zumindest die deutsche Ausgabe von Business 2.0 eingestellt. Und nach eineinhalb Jahren wird morgen zum letzten Mal die New-Economy-Zeitschrift Net-Business des Hamburger Verlags Milchstraße erhältlich sein. Der Grund für das schnelle Aus: schlechte Anzeigenentwicklung.

Da der Netzboom bekanntermaßen vorbei ist, verschwinden Internetmagazine reihenweise aus den Kiosken. So ist zum Beispiel im Mai die europäische Ausgabe des Industry Standard – zu Hochzeiten 850 Seiten dick, dann auf bis zu 100 geschrumpft – eingestellt worden. Auch das amerikanische Mutterblatt scheint jetzt in Gefahr. Jüngst wurde bekannt, dass Standard Media International eine Investmentbank beauftragt hat, „strategische Optionen“ zu prüfen. In Deutschland stellte im Juli der Holtzbrinck Verlag sein gerade mal vier Monate altes Wochenmagazin E-Business ein.

Solche Internetmagazine haben zwei Probleme. Zum einen sinken die Werbeeinnahmen seit Jahresanfang rapide – allerdings nicht nur bei Netztiteln. TV Spielfilm etwa hatte im ersten Quartal dieses Jahres 27 Prozent weniger Anzeigenseiten als im Jahr 2000, der Stern 23 Prozent. Dieselbe Entwicklung ist auch in den Vereinigten Staaten zu beobachten. Die Maiausgabe des Atlantic Monthly zum Beispiel beinhaltete 42,9 Prozent weniger Anzeigenseiten als die des Vorjahres, Vanity Fair verlor 23,2 Prozent. Besonders hart trifft es aber die Hefte der New Economy, da sie auch die stark gesunkenen Werbebudgets der noch verbliebenen Internetunternehmen zu spüren bekommen: In der aktuellen Juliausgabe des Industry Standard sind 84,25 Prozent weniger Anzeigenseiten als in jener des Vorjahres enthalten. Das sind jedoch normale Konjunkturzyklen, denen alle Verlage unterworfen sind.

Das wirklich große Problem der verbliebenen Internettitel ist jedoch ein konzeptionelles. Denn das Internet hat sich längst als Werkzeug in der Wirtschaft, aber auch im Privatleben in einem Maß etabliert, wie es eben jene Magazine lange Zeit forderten. Die Konsequenz: Magazine werden nicht mehr wegen des Neuigkeitswertes ihres Themas, sondern auf Grund ihrer Herangehensweise und Umsetzung gekauft. An der Auflage von Tomorrow ist das heute schon zu beobachten: Im ersten Quartal 1999 lag sie bei 347.789 Heften, in diesem Jahr nur noch bei 232.396. In den Vereinigten Staaten haben Red Herring und Konsorten längst mit einem neuen Konzept reagiert: Statt sich auf Internetthemen zu beschränken, positionieren sie sich als junge, journalistisch hochwertige Wirtschaftsmagazine. Die Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe von Red Herring geht der Frage nach, wann die Wirtschaft sich wieder erholt und welche Branchen als erste davon profitieren. Business 2.0 wird in der Oktoberausgabe Wirtschaftsgurus auf den Grund gehen und verspricht herauszufinden, welche Ideen „wirklich funktionieren“.

Ob diese Strategie der jungen Wirtschaftsmagazine von Erfolg gekrönt sein wird, sei dahingestellt. Denn immerhin verlieren auch die traditionellen Wirtschaftstitel in Deutschland wie in Amerika infolge des Börsenabschwungs Anzeigenaufträge. Gibt es überhaupt potenzielle Leser für neue, innovative Wirtschaftstitel? Das junge, intelligente Wirtschaftsmagazin Econy wurde im Vorjahr vom VFW Verlag für Wirtschaftsmedien eingestellt. Über den Erfolg des ähnlich ambitionierten Magazins Brand Eins lässt sich auf Grund der nicht kontrollierten Auflage wenig sagen – immerhin existiert der Titel noch. Auch Internetmagazine für ein nicht wirtschaftsorientiertes Publikum müssen sich neu orientieren, wie Tomorrow zeigt, das ab August wieder monatlich statt zweiwöchentlich erscheinen wird. Das Internet ist nichts Neues – drin sind inzwischen die meisten Leser, und bedienen können sie die Technik auch. Ob wenig anspruchsvolle Titel weiterhin mit halbnackten Titelfrauen reüssieren können, ist fraglich.

In den Vereinigten Staaten hat von allen Internetmagazinen für ein breites Publikum Wired die jüngste Krise am besten überstanden. Das 1991 gegründete Urmagazin des Internets verlor nicht so viele Anzeigen wie andere Magazine und baute seine Leserschaft sogar leicht aus. Das seit 1998 vom Condé Nast (Vogue, Vanity Fair, New Yorker) verlegte Heft wurde unter der Chefredakteurin Katrina Heron von einer Zeitschrift zu einem anspruchsvollen Magazin. Aufsehen erregende Essays wie Bill Joys „Warum die Zukunft uns nicht braucht“ und die ersten großen Geschichten über Gentechnik erschienen hier. Unter der ehemaligen Reporterin des New Yorker durchbrach Wired die 500.000-Leser-Grenze. Es scheint, als sei in Deutschland der intellektuelle Internetableger Konr@d des Sterns Ende 1999 zu früh eingestellt worden. Vielleicht aber müssten sich die Fachmagazine zu Internet- und Technologiethemen eine ganz andere Frage stellen: Warum sollen sie eigentlich auf Papier erscheinen?