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Polarforscher als Öko-Avantgarde

■ Nach umfangreichen Gründungsarbeiten wird jetzt mit dem Neubau des Polar- und Meeresforscher in Bremerhaven begonnen: Ökologisch auf dem Stand der Technik, aber teuer

Antarktischer Augengneis, über eine Miliarde Jahre alt und vom Forschungsschiff Polarstern nach Bremerhaven gebracht: Es war ein standesgemäßer Grundstein für den Neubau des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI), den Bundesministerin Edelgard Bulmahn bereits im Mai symbolisch an der Fischereihafenschleuse versenkte. In den kommenden Wochen nun soll eines der größten Wissenschafts-Bauprojekte des letzten Jahrzehnts in Bremen Fahrt aufnehmen. Noch in diesem Monat sollen die Rohbauarbeiten für das 18.460 Quadratmeter große Gebäude beginnen.

Für satte 82 Millionen Mark vom Bund und weiteren 9,1 Millionen, die das Land Bremen springen lässt, sollen in den nächsten zwei Jahren Arbeitsflächen für 237 Mitarbeiter entstehen – eine Bausumme, die manchen Bremer Architekten das Wasser in die Augen treten lässt. Doch die AWI-Leitung hat sich mit der Erweiterung viel vorgenommen: Natürlich, man will Proviso-rien wie über das Stadtgebiet verstreute Arbeitscontainer beenden, nachdem die Zahl der Institutsmitarbeiter in den letzten zehn Jahren um 80 Prozent gewachsen ist. Doch den Verantwortlichen schwebte auch ein Labor- und Bürogebäude „mit Modellcharakter“ vor.

Also, was ist dran an dem guten Stück, das preislich deutlich über den Schätzwerten zu liegen scheint, die Architekten üblicherweise pro Quadratmeter Nutzfläche eines solchen Gebäudes zu Grunde legen? Der Planer des Neubaus am Handelshafen, der Münchner Architekt Prof. Otto Steidle, hat sich tatsächlich einiges ausgedacht, damit es in den Reinstraum-Arealen der Polar- und Meeresforscher, ihren diversen Labors, Büros und Tiefkühlzonen so richtig schön nachhaltig zugeht.

Da ist zunächst einmal die Außenhaut des geplanten Neubaus, einem geschlossenen schiffsartigen Baukörper, viergeschossig und mit Türmen und Innenhöfen ausgestattet. Hinter den Ziegeln wird sich eine komplexe Doppelfassade mit einer ebenfalls zweischaligen Fens-terkonstruktion verbergen. Zwischen den Fenstern befinden sich Lamellen als effektiver Sonnenschutz und „Wellenbrecher“ gegen böige Nordseewinde.

Die Planer gehen davon aus, dass dieser spezielle Aufbau, nächtliche Lüftung und die natürliche Kühlung durch massive (Beton-) Bauteile ausreichen, um ein angenehmes Raumklima zu erzeugen. Auf elektrische Lüftungs- und Kühlungssysteme wird verzichtet. Auch Heizkörper soll es weniger als üblich geben, weil man mittels „Betonkernaktivierung“ abermals die Speicherfähigkeit massiver Materialien nutzen will. Das alles kostet, rechnet sich aus Sicht der AWI-Leute aber langfristig beim Betrieb.

Dazu kommen: Sonnenkollektoren beziehungsweise Grün auf den Dächern fürs warme Wasser und die Toilettenspülung, Ökomaterialien, ein Blockheizkraftwerk und ein unaussprechliches Etwas namens „Solarthermische Absorptionskälte“, das Kälte durch Wärme verspricht. Dazu Wärmerückgewinnung aller Art, optimierte Gebäudeleittechnik, sogar die Nutzung des Hafenwassers – zur Kühlung und für die Löschwasseranlage. Um das alles noch zu toppen, ist noch eine Erdwärmeanlage geplant, da sich just in 5.000 Metern Tiefe unter dem AWI-Neubau ein leitfähiger und 160 Grad heißer Salzstock befindet.

Merke: Nicht kleckern, sondern klotzen, heißt das Motto des Projekts, auch wenn das „auch 'ne ganze Stange Geld kostet“, wie selbst Mitarbeiter des Institutes raunen. Für Bremen ist das Bauvorhaben allemal ein Gewinn, schließlich gehe es mit der renommierten und größtenteils vom Bund finanzierten Großforschungseinrichtung „um die Perle unserer Wissenschaftslandschaft“, so Walter Dörhage vom Bildungsressort. Jetzt soll daraus eine Perle der ökologisch ausgerichteten High-Tech-Baukunst werden. Und das kostet. hase

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