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Steine tragen in Schweden verboten

Zwei Monate nach den Ausschreitungen beim EU-Gipfel in Göteborg wurde gestern ein weiterer Deutscher zu einer Haftstrafe verurteilt. Italienische Behörden wollen doch auf Einreiseverbote für Demonstranten des G-8-Gipfels in Genua verzichten

von S. VON OPPEN und R. WOLFF

In Schweden werden den Globalisierungskritikern, die sich an den Ausschreitungen beim Göteborger EU-Gipfel im Juni beteiligt haben sollen, überraschend harte Lektionen erteilt. 14 Monate Haft verhängten die Richter gestern gegen einen Berliner. Er darf zudem fünf Jahre lang nicht nach Schweden einreisen. Der Mann sei „besonders aktiv“ bei den Gewalttaten gewesen und habe Mitdemonstranten angestiftet, Polizisten anzugreifen. Zuvor waren bereits der bei den Ausschreitungen angeschossene Sebastian S. sowie Björn B. aus Berlin zu 6 bzw. 15 Monaten Haft verurteilt worden.

Die Urteile sind für die schwedische Rechtspraxis von bislang beispielloser Härte. Diese sollten – das geben Staatsanwaltschaft und Gerichte unumwunden zu – ein Exempel statuieren. Die Demonstranten mussten nicht einmal einen Stein in der Hand gehabt haben, um nun für mehrere Monate hinter Gittern zu landen. Es reichte, das geht aus mehreren Urteilen hervor, mit „der Gewalt zu sympathisieren“.

Nach Meinung vieler JuristInnen hat dies mit den entsprechenden Straftatbeständen nichts mehr zu tun. Die 26 Verurteilten sühnten stellvertretend für tausende von DemonstrationsteilnehmerInnen. Bei der Frage nach den Polizisten, die Schüsse abgaben und dabei drei Demonstranten schwer verletzten, hat es die Justiz offensichtich weniger eilig. Man sei da noch im „Vorstadium der Ermittlungen“, so ein Sprecher. Dies gilt auch für die mehr als hundert Strafanzeigen wegen der von Polizeibeamten ausgeübten Gewalt.Zwei Wochen nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen während des G-8-Gipfels in genua liegt inzwischen der vollständige Reisebericht der Grünen-Politiker Annelie Buntenbach und Christian Ströbele vor. Die beiden Abgeordneten hatten deutsche Gefangene in italienischen Haftanstalten besucht. Buntenbach und Ströbele äußern in ihrem Bericht „erheblichen Zweifel“ an der Beweislage. Demnach sollen die Gefangenen mit Drohungen und Knüppeleinsatz zu ihren Unterschriften unter die auf Italienisch verfassten polizeilichen Protokolle gezwungen worden sein.

Zweifel an den Vorwürfen der Polizei erhob der Mailänder Rechtsanwalt, der einen der insgesamt 21 noch inhaftierten Deutschen verteidigt. Seinem Mandanten werde neben Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung auch Bankraub vorgeworfen, berichtete der Anwalt der taz. Das Beweisstück: ein Stempel aus der Bank, die während der Proteste in Genua geplündert worden war.

Den Inhaftierten drohen hohe Freiheitsstrafen. Die Verteidiger gehen aber davon aus, dass eine Verurteilung wegen mangelnder Beweise unwahrscheinlich sei. In der nächsten Woche wird sich für mehrere Inhaftierte entscheiden, ob sie auch außerhalb der Gefängnisse auf ihren Prozess warten können. Werde ihrem Gesuch nicht stattgegeben, müssten die Inhaftierten möglicherweise monatelang in Untersuchungshaft bleiben, bevor überhaupt Anklage erhoben wird, befürchtet der Anwalt.

Die Grünen-Politiker Ströbele und Buntenbach fordern in ihrem Bericht erneut die Einrichtung einer internationalen Untersuchungskommission. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes unterstrich hingegen, dass Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) auf die italienische Justiz vertraue. Er dementierte außerdem Berichte, dass Fischer telefonisch bei seinem Amtskollegen Renato Ruggiero wegen der Einreiseverbote für mehrere Deutsche interveniert habe. Vielmehr habe sich die deutsche Botschaft in Rom eingesetzt, so der Sprecher. Die italienischen Behörden bestätigten gestern, dass die Einreiseverbote für EU-Bürger nicht gültig sind.

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