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Im Frühtau dem Zilpen lauschen

Zwei Ziegenmelker und bis zu 140.000 Amseln: Ornithologen haben Hamburgs Brutvogelwelt vermessen  ■ Von Gernot Knödler

Das Titelbild befremdet auf den ersten Blick: Statt malerische Arten wie den Eisvogel, den Wiedehopf oder den Kranich ins Bild zu setzen, wählten die Ornithologen einen gewöhnlichen Spatz als Schmuck für den ersten Hamburger Brutvogelatlas. „Das ist eine Art, um die wir uns kümmern müssen“, sagt der Vogelkundler Alexander Mitschke, der den Atlas zusammen mit seinem Kollegen Sven Baumung verfasst hat. Der Haussperling sei zwar eine „klassische Stadtvogelart“; in Hamburg sei der Bestand seit den 60er und 70er Jahren jedoch um die Hälfte auf 29.000 Brutpaare zurückgegangen, wie die Arbeit an dem Brutvogelatlas ergeben hat. Verschwände der Spatz aus den Städten, stürbe er aus.

Für den Brutvogelatlas haben 89 VogelkundlerInnen den Vogelbestand auf 768 Quadratkilometern untersucht – auf der gesamten Stadtfläche mit Ausnahme des Wattenmeeres. Vier Jahre – von 1997 bis 2000 – nahm dieses Mammutprojekt in Anspruch, wobei die fast ausschließlich ehrenamtlich arbeitenden KartiererInnen zwischen einem und 105 Quadratkilometern untersuchten. Meist schlichen sie dabei zu früher Morgenstunde durch Hinterhöfe, Vorgärten, Parks oder Hafenbrachen. Aus dem Durcheinander des Zilpens, Trillerns, Schlagens und Quiet-schens versuchten sie einzelne Arten herauszuhören und daraus die Zahl der Brutpaare abzuleiten.

Mischke zufolge funktioniert das in den meisten Fällen, weil etwa 80 Prozent der Vögel ihr Revier durch den Gesang markieren. Beim Rest, etwa den Elstern und Greifvögeln, mussten die Ornithologen kurz vor Frülingsbeginn in den kahlen Bäumen Nester zählen. Je ein Brutpaar bewohnt ein Revier.

Den Hauptteil des Buches bilden doppelseitige Beiträge über jede der 160 vorkommenden Arten. Mitschke und Baumung beschreiben auf Grundlage der Zählergebnisse, wo die Vögel vorkommen, welche Lebensräume sie bevorzugen und wie sich ihr Bestand entwickelt hat. Auf der gegenüberliegenden Seite ist das optisch verdeutlicht: Schwarze Punkte auf einer Hamburg-Karte zeigen für jeden Quadratkilometer an, wieviele Brutpaare dort vorkommen. Je größer der Punkt, desto größer der Bestand. Kleine rote Quadrate markieren erloschene Bestände.

Die verschwundenen und seltenen Arten werden kurz im Anhang behandelt, wo auch ein Register mit den deutschen und lateinischen Namen der Vögel steht. In den vorderen Teil des Buchs, ans Ende der Erläuterungen und der allgemeinen Schlussfolgerungen, haben die Autoren die Hitliste der Arten gestellt.

Sie wird mit 70.000 Brutpaaren angeführt von der Amsel, gefolgt von der Kohl-, der Blaumeise und dem Haussperling. Ein scheinbar allgegenwärtiger Vogel wie die Stockente ist dagegen um eine Zehnerpotenz weniger häufig, von gut zwei Dritteln der Arten gibt es weniger als 1000 Brutpaare. Schlusslichter mit je einem Brutpaar sind der Seeadler, der Wendehals und der Ziegenmelker.

Überraschend für Alexander Mitschke war „der Vogelreichtum fast bis in die Innenstadt“. Waldvögel wie Amseln, Meisen, Buchfinken und Rotkehlchen fühlen sich im alt gewordenen Baumbestand der Hamburger Hinterhöfe wohl. Schleiereulen, Turmfalken und Steinschmätzer, die es sich nach dem Krieg in den Trümmern gemütlich gemacht hatten, sind dagegen weitgehend verschwunden.

Aus den für den Brutvogel-Atlas gewonnenen Daten erhoffen sich die Ornithologen noch weitere Aufschlüsse. „Man kann Modelle entwickeln, warum eine Art in einem bestimmten Gebiet vorkommt und warum nicht“, sagt Mitschke. Wenn bestimmte Vogelarten Stadtteilen zugeordnet werden könnten, wäre das außerdem eine gute Grundlage für eine stichprobenartige Wiederholung der Untersuchung in zehn Jahren.

Der Brutvogelatlas kostet 30 Mark. Es gibt ihn beim Informationszentrum für Umwelt und Ent-sorgung in der Hermannstraße 14 und im Nabu-Laden in der Habichtstraße 125.

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