piwik no script img

Ganz oder gar nicht: Wien saniert Unis

In Österreich gibt es ab diesem Jahr Studiengebühren. Dies wird viele Teilzeitstudenten abschrecken, so eine Studie

WIEN taz ■ Mehr als ein Viertel der österreichischen Studierenden wird im nächsten Semester den Unis fernbleiben. Das ist das Ergebnis einer von der Österreichischen Hochschülerschaft in Auftrag gegebenen Prognose, die diese Woche veröffentlicht worden ist. Die Regierung begrüßt das voraussichtliche Ausscheiden von „Scheininskribenten“, die den freien Zugang zu den Unis missbraucht hätten, als erfreuliches Ergebnis ihrer Geldbeschaffungsaktion. Denn ab dem Wintersemester 2001/2002 werden Studiengebühren von 5.000 Schilling (etwas über 700 Mark) erhoben. Davon werden sich rund 70.000 Studierende in ganz Österreich abschrecken lassen, erwartet die Studie. Das wären über 28 Prozent der derzeit auf Österreichs Hochschulen matrikulierten 244.000 HörerInnen.

Hochschülerschaft (ÖH) und Opposition sehen darin den Beginn eines sozialen Filters. SPÖ-Sprecherin Andrea Kuntzl: „Wenn Bildungsministerin Gehrer über jeden Studenten weniger Genugtuung empfindet, stellt sich die Frage, ob sie auf dem richtigen Posten sitzt.“

Doch die von Professor Hans Pechar vom Institut für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung an der Uni Wien und seiner Mitarbeiterin Angela Wroblewski verfasste Studie basiert nicht auf Umfragen, sondern geht davon aus, dass Leute, die ihren Arbeitsmittelpunkt nicht auf den Unis haben, sich vom Studium verabschieden werden. Festgemacht wird das an der geringen Anzahl von Prüfungen, die diese Leute ablegen.

Für ÖH-Sprecher Answer Lang dreht es sich dabei jedoch nicht um „Scheininskribenten“, sondern um Berufstätige und Frauen, die Kinder und Haushalt nicht mit einem Vollzeitstudium vereinbaren können. Dazu kommen ausländische Studierende, die zum Teil die doppelte Studiengebühr zu entrichten haben. Zwar müssen Studierende aus den osteuropäischen Reformstaaten nicht zahlen und HörerInnen aus einer Anzahl außereuropäischer Länder sollen die Gebühren auf Antrag refundiert bekommen. Doch für die durch andere Schikanen geplagten Studierenden wird Österreich immer unattraktiver: Sie dürfen nicht arbeiten, müssen aber einen Kontostand von 10.000 Mark nachweisen.

Yazmín Ayala Uxo aus Mexiko gehört nicht zu jenen, die von der Gebühr befreit werden. Sie ist mit einem österreichischen Architekturstudenten verheiratet, der die Familie durch Arbeiten für eine Handyfirma durchzubringen versucht. „Miteinander müssen wir jetzt 15.000 Schilling pro Semester zahlen“, so die 26-jährige Romanistikstudentin. „Eigentlich wollte ich schnell fertig studieren, aber jetzt werde ich auch Arbeit suchen müssen.“ Ein Stipendium kann sie erst beantragen, wenn sie eingebürgert ist.

Opfer der Gebühreneinführung sind auch die rund 5.000 SeniorenstudentInnen, mehrheitlich Frauen. Dass der Hörerschwund Erleichterung für die Überfüllung der Hörsäle schaffen und die Staus bei Seminaren und Praktika vermeiden hilft, glaubt Answer Lang nicht. Denn wegbleiben werden ja in erster Linie jene, die sowieso auf der Uni kaum präsent waren.

RALF LEONHARD

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen