: Technisches K.o. in Argentinien
Argentinien kann keine weiteren Kredite aufnehmen. IWF und Weltbank erwägen vorgezogene Finanzhilfen. Will die Regierung den Staatsbankrott vermeiden, muss sie massiv sparen. Das trifft gering Verdienende zuerst. Landesweite Proteste
aus Buenos Aires INGO MALCHER
Argentinien wirbt bei den EU-Regierungen und den USA um höhere Hilfen und vorgezogene Kreditzahlungen zur Bewältigung seiner Finanzkrise. Während die EU-Finanzminister darüber auf ihrer Konferenz Ende August beraten wollen, schickten die USA gestern ihren stellvertretenden Finanzminister John Taylor nach Buenos Aires. Er räumt Argentinien gute Chancen für eine vorzeitige Auszahlung der zugesagten IWF-Hilfen ein. Insgesamt wollen IWF und Weltbank dem mit 130 Milliarden Dollar verschuldeten Land nach und nach Kredite über 40 Milliarden Dollar zur Verfügung stellen.
Eine schnelle Hilfe jedoch ist nötig, denn die Lage am Rio de la Plata ist explosiv. Der Staatsbankrott Argentiniens ist für viele Investmentbanker nur noch eine Frage der Zeit. Die Ratingagentur Moody’s gab der argentinischen Schuld die Note CAA, was die drittschlechteste Qualifizierung überhaupt ist und bedeutet: Gefahr für die Gläubiger. Bei solchen Aussichten ist es kein Wunder, dass das Länderrisiko Argentiniens bei über 1.500 Punkten angekommen ist. Es wird ermittelt von J. P. Morgan und richtet sich nach Kauf und Verkauf der argentinischen Staatsanleihen. Werden viele Titel auf dem Schuldenmarkt zum Verkauf angeboten, bedeutet dies in den Augen der Banker geringes Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit des Landes, folglich steigt das Risiko und mit ihm die Zinsen. So beträgt die Leitzinsrate in Argentinien nun über 20 Prozent, und für das Land ist es praktisch unmöglich geworden, weitere Kredite aufzunehmen. Die Regierung machte Spekulanten für das hohe Länderrisiko verantwortlich, die einen Staatsbankrott vorausgesagt hätten. Weiterhin stieg das Länderrisiko, weil im Laufe von zwölf Monaten Bankguthaben in Höhe von 8,4 Milliarden Dollar abgezogen wurden, das sind fast zehn Prozent des gesamten Bankguthabens. Zudem sanken im Juli die Steuereinnahmen des Staates um acht Prozent. Die einzige Möglichkeit für die Regierung, ihre Schulden zu zahlen, ist ein radikaler Sparkurs. Vergangenes Wochenende hatte der argentinische Senat ein Null-Defizit-Gesetz abgesegnet. Darin werden sämtliche Staatsausgaben dem Schuldendienst untergeordnet. So werden die Renten und die Gehälter der Staatsangestellten um 13 Prozent gekürzt.
Im Wirtschaftsministerium macht man sich bereits Gedanken über neue Kürzungen. Dagegen protestierten tausende von Arbeitslosen, indem sie zahlreiche Landstraßen blockierten. Kommenden Dienstag wollen sie diese Aktion wiederholen. Täglich demonstrieren Gewerkschaften in Buenos Aires und den Provinzhauptstädten, die Universitäten halten ihre Vorlesungen auf der Straße ab.
Längst sind die Schulden des argentinischen Staates keine reinen Auslandsschulden mehr. Lediglich rund 60 Prozent der argentinischen Staatsanleihen sind im Besitz von ausländischen Anlegern. Den Rest halten lokale Gläubiger, allen voran Banken und Rentenkassen. Die allerdings sind oftmals im Besitz internationaler Konzerne. Würde Argentinien sich zahlungsunfähig erklären, hätte dies höchstwahrscheinlich den Zusammenbruch des Banken- und Rentensystems zur Folge. Als in den 90er-Jahren die Rentenkassen privatisiert wurden, geschah dies ironischerweise mit dem Argument, dass der Staat den nachwachsenden Generationen keine sichere Rente mehr garantieren könnte. Durch die hohe Staatsverschuldung und unter Umweg über die privaten Rentenkassen bezahlt der Staat aber doch wieder die Renten. Und wenn er zahlungsunfähig wird, dann sind auch die Renten weg. Das Geschäft aber haben vorher private Investoren gemacht.
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