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Marianne verteidigt die Revolution

Der Streit über Kohls Akten geht nun vors Bundesverwaltungsgericht. Die Stasiakten-Beauftragte Marianne Birthler kündigte an, weiter Prominenten-Akten herauszugeben. In einem Brief fordert sie den Bundestag auf, das Gesetz klarer zu formulieren

von HEIKO HÄNSEL

Marianne Birthler hat sich von dem mehrmonatigen, scharfen Streit mit Bundesinnenminister Schily um die Aktenpraxis ihrer Behörde nicht beirren lassen. Die Stasiakten-Beauftragte wird auch weiterhin Material über Personen der Zeitgeschichte an Wissenschaftler und Journalisten herausgeben. „Ich bin durch die Gesetzeslage zur Herausgabe verpflichtet“, stellte sie gestern klar.

Damit reagierte sie auf die Urteilsbegründung des Berliner Verwaltungsgerichtes im Rechtsstreit mit Helmut Kohl. Das Gericht hatte in erster Instanz am 4. Juli einer Unterlassungsklage des Exbundeskanzlers stattgegeben und die Herausgabe von Material der Staatssicherheit über Kohl ohne dessen Einwilligung an Wissenschaftler und Journalisten – vorläufig – untersagt. Marianne Birthler wertet den Rechtsstreit mit Kohl weiterhin als „Einzelfall“, im Gegensatz zum Gericht, das in seiner Urteilsbegründung auf die Allgemeingültigkeit des Richterspruches pocht.

Die Stasiakten-Behörde bewegt sich nach dem Urteil auf rechtlich schwankendem Grund. Sie ist von mehreren Seiten angreifbar. Bleibt sie bei der jetzigen Praxis, drohen ihr weitere Klagen von Prominenten aus Ost und West. Insbesondere verwies Birthler noch einmal darauf, dass Partei- und Staatsfunktionäre, die nicht Mitarbeiter der Staatssicherheit waren, vor dem Berliner Verwaltungsgericht nun dasselbe Recht geltend machen könnten wie Kohl. „Das kann der Gesetzgeber nicht gewollt haben.“ Hingegen drohten bei einer Einschränkung des Aktenzuganges durch die Behörde im Sinne des Urteils Klagen von Journalisten und Wissenschaftlern, denen der Aktenzugang gesetzlich garantiert ist.

Solange das Verfahren um die Heruasgabe der Akten Kohls in der Schwebe ist, wird sich an diesem Zustand nichts ändern. Es wird sich nun mindestens über ein Jahr hinziehen. Kohls Anwälte und die Behörde konnten sich gestern wenigstens auf eine Sprungrevision einigen. Die nächste Instanz, das Oberverwaltungsgericht, wird so übergangen und das Bundesverwaltungsgericht sofort angerufen. Damit wird das Gesamtverfahren entscheidend verkürzt. Es ist gewiss, dass beide Parteien alle rechtlichen Mittel ausschöpfen werden.

Marianne Birthler hat sich des Weiteren zu einem unerwarteten Schritt entschlossen. Paragraf 37 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ermöglicht es der Bundesbeauftragten, sich jederzeit an den Bundestag zu wenden. Dies hat sie nun getan. In einem Brief an Bundestagspräsident Wolfgang Thierse stellt sie die gegenwärtig für die Behörde prekäre Lage dar und fordert vom Gesetzgeber eine „Klarstellung“ . Obwohl Birthler das Wort Gesetzesnovellierung vermied, läuft ihre Aufforderung an den Bundestag darauf hinaus. Der umstrittene Paragraf 32 des Gesetzes, den das Berliner Gericht entgegen der bisherigen Praxis sehr eng ausgelegt hatte, soll vom Parlament nach Birthlers Intention eindeutig formuliert werden. Sollte der Bundestag die Gesetzesänderung beschließen, könnte auch das Verfahren Kohls gegen die Behörde eingestellt werden, sagte ihr Rechtsexperte Piertrkiewicz.

Birthler, die frühere DDR-Oppositionelle, verteidigt mit ihrem gestrigen Vorstoß weiterhin eine wesentliche Folge der DDR-Revolution. Das Gesetz müsse „in seiner Substanz erhalten bleiben“, forderte sie.

Zu ihrem Widerpart Schily, der am Dienstag erneut mit Zwangsmaßnahmen drohte, falls Birthler weitere Akten von Prominenten herausgebe, bemerkte die Stasiakten-Beauftragte lediglich, dass für die Klarstellung des Gesetzes der Bundestag und nicht das Kabinett oder Schily zuständig seien.

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