: Kein Geld mehr für den Krieg
Zur Kompromissbereitschaft der slawischen Mazedonier hat der Umstand beigetragen, dass der Staat sich Militäraktionen nicht mehr leisten kann
aus Ohrid ERICH RATHFELDER
Noch seien da Kleinigkeiten, die verhandelt werden müssten, aber alles sehe danach aus, dass man den Durchbruch erzielt habe. Der Tenor unter den Mitgliedern der Verhandlungsdelegationen im südmazedonischen Ohrid war gestern Nachmittag optimistisch. Nach dem Kompromiss im Sprachenstreit vom letzten Mittwoch haben die Verhandlungsdelegationen der slawischen und albanischen Parteien jetzt auch eine Einigung über die Polizeireform erreicht. Damit scheint der Weg für den Einsatz von Nato-Truppen in Mazedonien frei zu sein.
Nach den bisherigen Informationen hat die albanische Seite dabei weitgehende Konzessionen gemacht. Ursprünglich hatte sie gefordert, dass die Polizei in den hauptsächlich albanisch besiedelten Gebieten unter der Kontrolle der lokalen Behörden stehen müsse. Da im Gesamtpaket auch eine Gemeindereform vorgesehen ist, hätten die Albaner die Kontrolle über die örtliche Polizei erhalten. Das aber wollte die slawische Seite nicht hinnehmen. Der Kompromiss sieht vor, dass die Polizei weiterhin der Zentrale untersteht, dass aber bis 2003 albanische Bewerber entsprechend dem Bevölkerungsanteil in die Polizei aufgenommen werden und dass die örtlichen Behörden bei der Bestellung ihrer Polizeiführungen mitreden können.
Mit diesem Kompromiss können beide Seiten offenbar leben. Für die slawische Seite ist wichtig, die Kontrolle zu behalten, um nicht den Anschein zu erwecken, es entstünden autonome Gebiete der Albaner. Auch der Vizepräsident der Albanerpartei PDP, Asis Polashani, war gestern optimistisch, dass die Verhandlungen ihren Abschluss finden können. Es ginge jetzt lediglich noch um die Zukunft der Universitäten und den Status der albanischen Sprache im akademischen Betrieb, erklärte Polashani.
Erleichtert zeigten sich auch Vertreter der internationalen Gemeinschaft über den sich anbahnenden Kompromiss, der durch die Verhandlungsführung des US-amerikanischen Spitzendiplomaten James Pardew und des EU-Vertreters François Léotard ermöglicht worden ist. Wenn es mit der Unterschrift unter das Abkommen zum Einsatz von Nato-Truppen kommt, ist es nicht zuletzt dem Versprechen der internationalen Unterhändler zu verdanken, dass die Nato und die anderen Institutionen der internationalen Gemeinschaft sich nicht nur um die Entwaffnung der albanischen UÇK-Rebellen, sondern auch um die Umsetzung des Abkommens kümmern werden.
Nach all den Erfahrungen mit dem Bruch von Abkommen auf dem Balkan wäre dies ein wichtiger Schritt. Eine solche Politik bedeutete aber letztlich auch, dass die Nato-Truppen nicht lediglich für einen Zeitraum von vier Wochen im Lande stationiert sein werden.
Beigetragen zur Kompromissbereitschaft der slawisch-mazedonischen Seite hat der Umstand, dass die Staatskassen leer sind. Sollte der Krieg auch nur vier Wochen weitergehen, so ein Mitarbeiter des Außenministeriums in Skopje, „können wir den Laden hier dichtmachen“. Der Staat ist bankrott und kann sich weitere Militäraktionen nicht mehr leisten. Hinzu kommt ein sehr deutliches Zeichen von Seiten der Nato. Die weitere Aufrüstung der Armee soll nicht mehr erlaubt werden. Damit hat die Nato ihren Kurs dramatisch verändert. Denn noch vor Monaten trug sie selbst zur Aufrüstung der mazedonischen Armee bei. So lieferte die deutsche Bundeswehr nach internen und inoffiziellen Informationen eine nicht unerhebliche Anzahl von Armeefahrzeugen, Quellen berichten von 80 Fahrzeugen für die mazedonische Armee.
Die westlichen Militärs und Diplomaten drückten noch im März und April diesen Jahres beide Augen zu, als Bulgarien mehrere hundert Panzer und Artilleriegeschütze lieferte, als ganze mit Waffen und Munition aller Art beladene Züge aus Serbien in Skopje eintrafen und als die Ukraine nicht nur zwei Kampflugzeuge, sondern sechs Kampfhubschrauber lieferte, die mit ihren Raketen viele Häuser in den Dörfern der umkämpften Gebiete zerstörten.
Jetzt wurde den Ukrainern bedeutet, sie sollten die Waffenlieferungen einstellen und den Konflikt nicht weiter anheizen. Ein Mitglied der ukrainischen Regierung war in Ohrid bei den Verhandlungen zugegen. Nach Geprächen mit James Pardew äußerte er sich vorsichtig über die Frage weiterer Waffenlieferungen.
Das Prozedere für die Gültigkeit des Abkommens ist festgeschrieben. Nach dem Abschluss der Verhandlungen muss das mazedonische Parlament in Skopje dem ausgehandelten Kompromiss zustimmen. Da beide Verhandlungspartner im Parlament sitzen, ist mit einer überwältigenden Mehrheit der Abgeordneten zu rechnen. Das kann bis zu sechs Wochen dauern. Zustimmen muss aber auch die UÇK. Einer ihrer Sprecher forderte zwar noch gestern eine „breitere Konferenz“ und lehnte das bisherige Abkommen ab. Nach Meinung von EU-Chefdiplomat Javier Solana jedoch werde die UÇK zustimmen. Abgesandte der Nato verhandelten gestern mit der UÇK über diese Frage.
Doch nach wie vor ist der Frieden in Mazedonien nicht gesichert. Denn die Vertretung der slawischen Mazedonier sieht sich einem Druck der Bevölkerung ausgesetzt, die in ihrer Mehrheit keineswegs so kompromissbereit ist wie die Verhandlungsdelegation. So ist auf der slawischen Seite viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Radikale Kräfte sind der Überzeugung, dass den Mazedoniern von internationaler Seite eine Verhandlungslösung aufgezwungen wird.
Vielen Albanern geht es nicht anders. Käme es zu Zwischenfällen, etwa zu Übergriffen von Polizisten auf albanische Zivilisten, könnte sich auch von albanischer Seite die Lage wieder zuspitzen. Willkürliche Verhaftungen haben in den letzten Tagen für erhebliche Unruhe gesorgt. So entsteht nach Ansicht von Mitarbeitern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) der Druck, möglichst schnell für das Einrücken der Nato-Truppen in das Land zu sorgen. Sie sollen dabei helfen, den erreichten Kompromiss tatsächlich auch umzusetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen