: Die Stille vor dem Schluss
Sag mir, wo du stehst: In seiner Dokumentation „Der Traum ist aus“ hat Christoph Schuch die Erben der Musik von Ton Steine Scherben besucht und sie nach der Politisierung des Deutschpop befragt
von GERRIT BARTELS
Vor dreißig Jahren glaubte man noch, mit Pop die Welt verändern zu können. „Das war zwar naiv“, erinnert sich der Ton-Steine-Scherben-Manager Nikel Pallat in Christoph Schuchs Dokumentarfilm „Der Traum ist aus – Die Erben der Scherben“, „doch es war so, ganz klar glaubte man an politische Veränderungen und das alles.“
Da sangen die Scherben also „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ und „Keine Macht für niemand“, da sang Rio Reiser „Kommt zusammen Leute / Lernt euch kennen / Du bist nicht besser als der neben dir / Keiner hat das Recht / Menschen zu regieren“, und da besetzten sie Häuser und spielten für umsonst und überall für die gute, sozialistische, antikapitalistische, antifaschistische (Kreuzberger) Sache. Bis es ihnen in Berlin zu viel wurde und sie die Brocken hinwarfen: „Das war auf einem Solikonzert“, erzählt Ex-Scherben-Schlagzeuger Funky Götzner, „wir hatten kein Geld und sollten auch keines bekommen, wir hatten Hunger, und da standen also so Platten mit Käse- und Schmalzbroten herum. Als wir uns davon nehmen wollten, hieß es doch tatsächlich, wir sollten die bezahlen, der Solidarität halber. Da rastete Rio total aus und schrie: ‚Schluss aus, wir packen ein und gehen aufs Land‘.“
Bewegte Zeiten damals. Diese aber will der in den späten Sechzigern geborene Filmemacher Christoph Schuch, der bei den Demos gegen die Startbahn West das erste Mal Scherben-Songs hörte, nicht allein in Form einer Geschichte über Ton Steine Scherben nacherzählen. Vielmehr geht es ihm mit seinem Film darum, zu umreißen, was die Band bewirkt hat, was von ihren Songs, ihren Ideen und Haltungen geblieben ist. Schuch sucht Anschlüsse und Verbindungslinien, er bleibt, was die Scherben anbetrifft, bewusst unvollständig und erzählt eher anekdotisch als chronologisch (Spätgeborene würden manchmal doch gern etwas mehr wissen). Er zeigt also nicht nur alte Scherben-Aufnahmen, sondern auch Konzertmitschnitte jüngerer Bands wie Die Sterne und Tocotronic und hat neben einstigen Ton-Steine-Scherben-Musikern vor allem auch jüngere Musiker nach ihrer Beziehung zu den Scherben befragt: Christoph Leich und Frank Spilker von Die Sterne, Dirk von Lotzow und Jan Müller von Tocotronic, zwei Mitglieder der HipHop-Band Das Department, Tilman Rosmy oder Christiane Rösinger. Fast allen merkt man an, was für einen Respekt sie vor Ton Steine Scherben haben, wie sehr sie die Songs, die Musik und die Texte auch heute noch wertschätzen, wie gern sie sich an ihre ersten Begegnungen erinnern. Doch man merkt auch, wie sie sich winden, wenn sie Fragen nach der Politikfähigkeit der eigenen Musik gestellt bekommen, nach ihrem politischen Bewusstsein als Musiker. Man glaubt zu sehen und zu hören, wie sie diese Fragen als viel zu komplex empfinden, als dass sie einfach mal so beantwortet werden können.
Christiane Rösinger möchte Unterscheidungen treffen zwischen bloßen Statements und richtigen Aktionen („Ist es etwa schon politisch, auf einem Antifa-Festival zu spielen?“), Christoph Leich will es nicht für Die Sterne gelten lassen, eine „explizit politische Band“ zu sein – was deutsche Tagespolitik anbetrifft, sei er nach dem CDU-Spendenskandal sowieso schon sehr beyond von all dem. Frank Spilker weiß, dass man heute „Fickt das System“ singen kann, ohne dass sich da jemand dran stört, und Jan Müller sagt: „Das ganze System ist heute sehr viel subtiler und jeder steckt da irgendwie mit drin. Man kennt so viele Leute, die in irgendwelchen Werbeagenturen arbeiten und da auch Sachen betreiben, die ich nicht für richtig halte. Trotzdem sind das aber nette Leute oder Freunde.“
Schuchs Film enthält viele Widersprüche und Ansichten, viele Aussagen und Haltungen, manchmal gar ein bisschen zu viel, wenn auch noch die Wirkung Rio Reisers als Künstler und Musiker gewertet werden soll. Er funktioniert in den Momenten am besten, in denen durch die Aussagen gerade jüngerer Musiker die Bruchstellen zwischen damals und heute sichtbar werden und Verbindungen sich eben nicht so ohne weiteres knüpfen lassen. Pop und Politik sind anderen Regeln unterworfen als ehedem und mit Pop als Widerstandsmedium ist es eben nicht mehr so weit her: Wenn Frank Spilker wie einst Scherben-Manager Nikel Pallat mit einer Axt das Mobiliar eines Viva-Studios zerhauen würde, dürfte die Aktion wahrscheinlich mit Begeisterung gesendet werden und später in der Heavy Rotation laufen. Und die Scherben würden umgekehrt heutzutage gut dotierte Plattenverträge bekommen und wahrscheinlich auch annehmen.
Andererseits sagt einer wie Jakob Friedrichs von Element Of Crime: „Es gibt keine unpolitischen Zeiten, man kann sich immer politisch artikulieren“, während Jako Benz wiederum nicht genau weiß – as times go by –, ob die Scherben wirklich was bewegt haben („Es hat sich gar nichts verändert, ach doch, ein bisschen“). Überhaupt hinterlassen viele der alten Scherben-Mitglieder in diesem Film einen melancholischen und leicht resignativen Eindruck. Für die aber hat Tilman Rosmy eine gute Einsicht auf Lager: „Mit dem Alter geht was an Agilität verloren. Was du dafür gewinnst, ist mehr Stille.“
„Der Traum ist aus – Die Erben der Scherben“. Regie: Christoph Schuch, Deutschland 2001, 92 Min.
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