: Von noch einem gallischen Dorf
■ Neu im Kino: „Vive la Provence“ von Christian Philibert ist eine moderne Asterixiade, die hemmungsloses Fernweh weckt
Glückliches Frankreich! Nachdem man diesen Film gesehen hat, möchte man gleich hinfahren, in das kleine Dorf Espigoule in der Provence, das Christian Philibert hier ein Jahr lang mit der Kamera besungen hat. Aber kann es da wirklich so schön sein? Mit solch einem vergnüglichen Haufen von Dorfbewohnern, von denen jeder eine amüsante Marotte hat?
„Vive la Provence“ ist zwar ein Dokumentarfilm, aber gleich vom ersten Streich an, den die Dorfrabauken einem leichtgläubigen Opfer spielen, ist klar, dass hier hemmungslos inszeniert wird. Die Dorfbewohner spielen sich selbst, oder aber die Idee, die sie von sich als idealen Dorfbewohnern haben. Dabei sind Archetypen entstanden, die uns seltsam bekannt vorkommen. Das gallische Dorf von Asterix lässt deutlich grüßen.
So gibt es mit einem schlechten Poeten, der in der Kneipe selbst während der Fernsehübertragung eines Fussballspiels allen seine Gedichte vortragen will, einen würdigen Nachfolger von Troubardix, und der ewig zerzauste jugendliche Lokalheld macht einen geheimnisvollen Honig, dem man magische Wirkungen nachsagt. Im Lauf des Jahres wird viel gefeiert, die Hausfrauen des Ortes versuchen in einem Wettbewerb den besten Hasenpfeffer zu kochen, und die Männer veranstalten ein Hindernisrennen mit ihren Ziegenböcken. Die Hallodris des Dorfes verrücken ein Denkmal so, dass es nach zwanzig Jahren plötzlich in einen andere Richtung schaut, und eine Rentnerin nörgelt den lieben langen Tag.
Alles ist wirklich passiert, versichert uns Christian Philibert, obwohl es das Dorf „Espigoule“ gar nicht gibt. Zehn Jahre lang hat er statt dessen in seinem (namenlos bleibenden) Heimatdorf Videoaufnahmen gemacht und sie den versammelten Dorfbewohnern gezeigt. Zusammen habe man dann entschieden, was gezeigt und erzählt werden solle, und dies hätten ein paar Dorfbewohner dann für die Kamera nachgespielt.
Sicher ist, dass die Selbstdarsteller mit einer bewundernswerten Selbstverständlichkeit vor der Kamera agieren. Sie machen sich mit offensichtlichem Vergnügen zum Trottel: der ewige Pechvogel etwa, der bei der Jagd nie etwas trifft und dabei immer so herrlich dumm aus der Wäsche guckt. Und weil sie sich selber mit soviel Vergnügen hochnehmen, hat man nie das Gefühl, Philibert mache sich auf ihre Kosten lustig. Keiner ist da wirklich der Depp, alle schließt man schnell ins Herz, denn alle sind sie liebenswerte Poeten (sogar der Dorfdichter), die behaupten, bei ihnen vibrieren die Bäume anders, und sich fragen, ob der Hahn eine Uhr braucht.
Es gibt in Frankreich eine lange Tradition von ländlichen Idyllen, in die sich Philibert mit seiner Dokumentarkomödie nahtlos einfügt. Marcel Pagnol hat in seinen Romanen und Filmen die Provence ähnlich gefeiert, und von der Stimmung her erinnert „Vive la Provence“ sehr an Jacques Tatis „Schützenfest“. Vielleicht bilden diese Pastoralen das einzige ganz und gar französische Genre – sicher ist , dass sie alle erzkonservativ sind. Vielleicht deshalb hat Philibert einen kleinen Widerhaken in seine schöne kleine Welt eingebaut: Die sonst so lieben Dörfler sind durch und durch fremdenfeindlich, und wenn sie dies äußern, sind sie gar nicht mehr putzig! Die Anderen wollen sie nicht, und dabei ist es egal, ob sie aus Afrika, Paris oder dem nächsten Dorf kommen. Wilfried Hippen
Läuft in der Originalfassung mit Untertiteln im Kino 46 tägl. bis Dienstag um 20.30 Uhr
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