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Ein immer größerer Canyon

Wer David Hockney sein wird, werden wir sehen: Die Retrospektive „Exciting times are ahead“ des 63-jährigen Briten in der Bundeskunsthalle Bonn zeigt beseelte Dackel und die immaterielle Seite des Eigenheimglücks. Damit ist zwar der Maler anwesend, aber der Zeichner und der Fotograf Hockney fehlen

von ULF ERDMANN ZIEGLER

David Hockneys Werk ist reich an Sujets, Techniken, Bezügen und Ideen, und wenn der Strom der Ideen an Kraft nachlässt, ist der theoretische Rahmenbau immer noch stark genug, um die malerische Praxis voranzutreiben. Jemand wie Hockney hat ohnehin keine Wahl, weil er ein obsessiver Maler und Zeichner ist. Auch Pläne am Rande der Abwegigkeit werden verfolgt, bis sie durchgepaust sind in die Wirklichkeit. Ein Panoramabild des Grand Canyon – „das ist verboten, aber meine Perversion steht dagegen“, sagt der Maler in einem Film über den Maler – in Öl ist das zentrale Schaustück der Bonner Ausstellung; ein über sieben Meter langes Gemälde, bestehend aus sechzig Tafeln. Das Urbild des erhabenen Schauders, zum Greifen nah, in leuchtenden Rottönen mit einem grünen Tisch der Natur auf mittlerer Ebene – da ist er wieder, der amerikanische Garten der Egalität.

Auf der riesigen weißen Wand der zentralen Halle sieht das Bild mit knapp siebeneinhalb Metern Breite kleiner aus als erwartet. Einen der berühmten Ausblicke vom Rand her zeigend, hängt es vielleicht zu hoch. Aber Hockney und seine Entourage von Helfern waren zur Eröffnung da; so ist Kay Heymers Ausstellung legitimiert. Sie schöpft aus dem Atelier, „A Bigger Grand Canyon“ ist auf 1998 datiert. Unter dem Titel „Exciting times are ahead – Eine Retrospektive“ argumentiert sie mit der Lebendigkeit des Werks und bringt nur, wo es unvermeidlich ist, den Kanon ins Spiel.

Hockneys Geschichte als Maler von eigener Sendung beginnt 1961, als er im Sommer zum ersten Mal nach New York reist und bald darauf das Royal College of Art in London verlässt. Sie führt in eine grobe, gestische Malerei mit an Dubuffet stilisierten Figuren, unter Weglassung von Vorder- und Hintergrund, auf grobem Sackleinen, der als Chiffre einer späten Art brut ausgestellt wird. So spart er Motive an, wie die unvollständigen Extremitäten der männlichen Figuren, oder Wolken, die aussehen wie Sprechblasen; und fliegende Herzen. Es folgen die im Quadrat gezähmten flachen Bilder der amerikanischen Pool-Idyllen unter den stumpfen Oberflächen des Acryls, von der Homo-Ikone „Peter Getting Out of Nick’s Pool“ bis zu „A Bigger Splash“, der den Schwimmer eintauscht gegen den weißen Schaum, den der Eintritt des Menschen in das Paradies hinterlässt – und der, malerisch, nicht zufällig dem Repertoire des Informel entliehen ist. 1967, und schon finden wir Hockney im Kern der zeitgenössischen Kunst, ein Tausendsassa, der die Regeln der Kunst persifliert, um zu beweisen, dass sie gelten.

Aus der Bonbonfabrik

Betrachtet man den Strom dieser Arbeit flussabwärts, sieht man eine Verselbstständigung der Form, wie man sie auch aus dem Werk Frank Stellas kennt, von Dieter Roth oder Nam Jun Paik. Wenn man weiß, was man mit der oberen linken Ecke tun soll, dann braucht man sie auch nicht weiß zu malen. Hockney war schon immer ein exzessiver Kolorist, aber die jüngeren Landschaften aus dem heimatlichen Yorkshire sehen aus wie van Goghs aus der Bonbonfabrik.

Hockney gibt sich mit der malerischen Schichtung der Farben nicht mehr zufrieden und geht so weit, Malerei als Bühnenbild zu inszenieren: Ein großes Tafelbild schwebender abstrakter Formen wird über den Boden verlängert, entlang ihrer wuchernden Formen konturiert und dann mit Spots beleuchtet, die im Schneckentempo ihre Farbe ändern („Snails Space with Vari-Lites“, 1995/96): So kann es passieren, dass man das Herz übersieht, das genau über den Bruch von Wand und Boden aufgefaltet ist. Es kann auch passieren, dass man übersieht, wie Hockney im Fundus von Picasso, Matisse, Klimt und Stella Verkleiden spielt, wie die Londoner Queen zum kalifornischen Wunderkind regrediert. Es hilft zu wissen, dass Hockney die Oper liebt, aber sein Gehör verliert.

Während die Schulen seit dreißig Jahren in Multimedia machen, ist die pädagogische Idee des Museums die verbale Erklärung geblieben. Zweitausend Zeichen Text muss man pro Bild weglesen, um über Zitate, Scherze, Reisen und Lebenskrisen auf dem Laufenden zu bleiben. Dabei wird Hockneys homosexuelle Emblematik Teil der Interpretation. Dennoch fragt man sich, ob es nicht überzeugender wäre, eine Strecke aus dem Physique Pictorial Magazin – die Feier der männlichen Beefcakes aus den Fünfzigerjahren – in die Vitrine zu legen, als gelehrt auf den Zusammenhang hinzuweisen. Die kunstwissenschaftliche Tätigkeit ist auf halbem Weg stehen geblieben. Sie wagt sich in die biografische Deutung nur so weit vor, wie die unmittelbare Herleitung funktioniert: „In dem Bild versammelt Hockney verschiedene Gegenstände auf einem Glastisch, die Peter gehörten und ihn an den Gefährten erinnern.“ Dabei entsteht der Eindruck, Homosexualität sei eine Art Muse. Erst wenn das schwule Kapitel im Leben Hockneys ernsthaft durchkreuzt würde – es gibt ja eine sehr gute Quelle: die Autobiografie „My Early Years“ von 1976 – würde dahinter sichtbar, dass Homosexualität ein Thema von Hockneys Kunst ist, weit über das Muster von Erfahrung und Bekenntnis hinaus.

Weil man nicht weiß, was mit der Biografie des Künstlers anzufangen wäre, hakt man das Grobe mit der Zeittafel am Eingang ab und reicht an entlegenerer Stelle den Fernsehfilm nach. Man muss solche Filme wirklich ansehen, wenn man sie noch nicht kennt, denn sie sprechen trotz der illustrativen Regie zwischen den Zeilen.

Es ist leichter, ein Werk zu zeigen, als Indizien zu liefern, wie und warum es in die Welt gekommen ist. Die Ausstellung ist gut genug bestückt im Frühwerk, um Hockneys Sticheleien am akademischen Betrieb und seine Beharrlichkeit beim Thema Männerliebe als Einheit zu begreifen. Die Siebziger und Achtziger bleiben etwas rätselhaft, was mit den dünner gesäten Leihgaben zu tun hat. Hier wäre ein Raum mit Zeichnungen gewiss der Schlüssel gewesen – denn Zeichnungen sind, wie Fotografien, oft an Personen, Orte und Räume gebunden; sind Dokumente von Hockneys Jet-set-Leben zwischen Los Angeles und Europa, seiner Kuratoren- und Sammlerfreunde, der Begegnung des reich gewordenen schwulen Sohnes mit den Eltern aus der Working Class. Wie die Ausstellung der Hockney-Zeichnungen in der Hamburger Kunsthalle vor einigen Jahren schlagend demonstriert hat, war die Zeichnung die Brücke von der Erfahrung zur visuellen Grammatik. Bei Hockney grenzt die Erfindung direkt an die Verwandlung, woraus sich das Undogmatische seines Werks erklärt.

Talent für das Beseelte

Die ausladend postmoderne Gestalt des Bonner Museums, das keines ist, macht sowohl eine Chronologie wie einen Rundgang schwierig; man hat sich mit einem Mischkonzept von Datierung und Formaten beholfen. Die wüste Häufung kleiner Bilder plumper Dackel mit zu spitzen Schnauzen sind ein wunderbares Zeichen für Hockneys Talent, sich auf das Beseelte und das Versöhnende zu besinnen, wenn andere darüber nachdenken, wie sie sich Prestigeaufträge von der UNO holen können.

Die eigentümlichste Werkgruppe aber besteht aus drei kalifornischen Gemälden. Eines ist die frontale Ansicht eines beigegrauen „Duplex“, das Standardapartmenthaus der amerikanischen Städte („A Neat Lawn“). Das zweite zeigt die Hinterhof-Idylle eines Eigenheims („A Lawn Sprinkler“), das dritte die oberen Stockwerke des „Savings and Loan Building“, alle sind von 1967. Heute würde man sagen, die Gebäude sähen aus wie von Thomas Demand gebastelt – also Hockney nimmt den analytischen Blick auf den Umstand vorweg, dass gebaute Kultur in ihrer Manifestation eingespannt ist zwischen Entwurf (disegno) und werblicher Repräsentation (Fotografie und Grafik). Somit tritt gerade am materialistischen Objekt – Eigentum – die immaterielle Seite hervor. Hinter der Dekonstruktion von Stereotypien steht der eiserne Entschluss, sich die kalifornische Moderne anzuverwandeln. Dieser Aspekt in Hockneys Leben und Werk geistert durch diese Ausstellung wie eine leere Schachtel.

Die Antinomie von Früh- und Spätwerk, wie sie uns hier unterbreitet wird, arbeitet mit (früher) Figur und (später) Landschaft; schwer zu widerlegen, aber wahrscheinlich nur die halbe Wahrheit. Man muss eine solche Ausstellung als Baustein der Retrospektive betrachten, die sich im Auge des Betrachters über Jahre komplementiert. Das fotografische Werk Hockneys, das in Köln zu sehen war, käme dazu. Der Mann ist erst 63 Jahre alt. Insofern deckt das Motto der Ausstellung ihre Lücken: Wer David Hockney gewesen sein wird, werden wir später sehen.

Bis 23. 9., Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik, Bonn. Der Katalog, hatje cantz Verlag, 49 DM. Im Ramsch: David Hockney, My Early Years, Thames and Hudson, 24,80 DM.

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