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Kein heimischer Abenteuerurlaub

Einsatz in Eutin: SPD-Innenminister Klaus Buß informiert sich hautnah auf der Matte und auf dem Schießstand über Selbstverteidigung und Eigensicherung bei Schleswig-Holsteins Polizei  ■ Von Kai von Appen

Einsatz! „Hilferufe aus Wohnung“, wird über Funk gemeldet. „Mann verprügelt seine Frau.“ Die beiden Streifenbeamten klingeln, werden eingelassen und ein Besoffener baut sich vor ihnen auf. „Was wollt ihr hier“, gröhlt er lallend, „das ist meine Wohnung.“ Ein Polizist bringt seine Arme in Abwehrhaltung. „Sie haben ihre Frau geschlagen“, sagt er. Die Wunden im Gesicht der langhaarigen blonden Frau im Hintergrund sprechen für sich. Doch der Trunkenbold pöbelt weiter. „Das stimmt doch gar nicht“, schreit er. Aggressiv dreht er sich um. „Hast du wieder gepetzt, du Miststück!“

Die Frau hat Schutz hinter dem zweiten Beamten gesucht. „Natürlich hast du mich geschlagen“, heult sie. Der Rowdy will abwiegeln. „Die ist über den Stuhl gefallen, die besoffene Schlampe.“ Er versucht, sein Gegenüber aus der Wohnung zu drängen, doch inzwischen ist die über Funk angeforderte Verstärkung eingetroffen: zwei durchtrainierte Kollegen, die den Mann per Polizeigriff zu Boden zwingen, ihm Handschellen anlegen und seine Frau abwehren, die ihm nun hysterisch schreiend zu Hilfe eilt. „Tun Sie ihm nichts, er hat's doch gar nicht so gemeint ...“

Für StreifenpolizistInnen eine typische und alltägliche Situation. Doch in diesem Fall nur zur Übung. Und von den als Polizisten eingesetzten Akteuren ist zumindest einer fern jeglicher Praxis: Schleswig-Holsteins Innenminister Klaus Buß hat mit Landespolizeidirektor Wolfgang Pistol den Part der ersten Streifenwagenbesatzung übernommen.

Anschließend Manöverkritik: „Nach dem Klingeln haben Sie einfach gewartet, statt links und rechts Schutz zu suchen. Das hat letztes Jahr einen Kollegen das Leben gekostet, als durch die Tür geschossen wurde“, bemängelt Moderator und Ausbilder Heinz Kassner im Auswertungsgespräch. „Das hab ich vor der Tür einfach vergessen“, gibt Buß selbstkritisch zu und gesteht einen weiteren eklatanten Fehler ein: „Das Messer hab' ich in dem Moment gar nicht gesehen“ – er meint den langen Dolch, der mitten zwischen den Schnapsflaschen auf dem Wohnzimmertisch lag.

Der besoffene Schläger – im wirklichen Leben Polizist – mäkelt dann auch. „Ich hatte anfangs viel zu viel Spielraum, ich hätte das Messer problemlos greifen können.“ Ein bisschen Lob – „Sie haben immer Abstand gehalten“ – aber: „Man hätte schon viel früher konsequenter einschreiten können.“ Der Minister sinniert: „Es ist schon sehr problematisch, das Richtige zu tun, ohne dass Ihnen nachher vorgeworfen wird, überreagiert zu haben.“

Der Ausflug des Innenministers in die Eutiner Kaserne und das Einsatztrainingslager (ETL) der Bereitschaftpolizei war kein heimischer Abenteuerulaub. Nachdem im vorigen Jahr bundesweit acht PolizistInnen im Einsatz getötet wurden, wollte sich Buß hautnah einen Eindruck vom Selbstverteidigungstraining und der Eigensicherung bei der Landespolizei verschaffen.

In Eutin befindet sich neben einer Einheit der Bereitschaftspolizei und der Landespolizeischule auch das landesweite ETL mit unterirdischem Schießstand. Hier werden – überwiegend von ehemaligen SEK-Beamten – die Trainer der Polizeiinspektionen ausgebildet. SEK steht für Sondereinsatzkommando und ist dem „Mobilen Einsatzkommando“ (MEK) in Hamburg oder der GSG 9 vom Bundesgrenzschutz gleichzusetzen. „Wir wollen, dass es im Land möglichst einen einheitlichen Ausbildungsstand gibt“, sagt Kassner, der für die Schießausbildung zuständig ist. Für alle PolizistInnen, ob sie nun in Flensburg, Lübeck oder Husum Dienst tun.

Besonders beim Einsatz von Schusswaffen wird auf Training Wert gelegt. „Nur was ich eintrainiert und gespeichert habe, kann ich im Stress ohne zu überlegen abrufen,“ sagt Kassner, „das muss in Fleisch und Blut übergehen, wie man das Anfahren in der Fahrschule lernt.“ Denn im Ernstfall spulten sich binnen Bruchteilen von Sekunden „zwei DIN A4-Seiten Rechtsvorschriften“ vor dem inneren Auge ab, sagt Kassner, „über die Richter wochenlang nachdenken können“. Daher ist jedeR PolizistIn im Norden verpflichtet, sich zweimal im Jahr einem Schießtraining zu unterziehen.

Dennoch würden BeamtInnen zu oft dazu neigen, zu früh die Waffe in die Hand zu nehmen und sie in der „Grundhaltung“ schräg auf den Boden zu richten, weiß Kassner. „Kommt es zum Schusswaffeneinsatz, verreißen 40 Prozent“, warnt er und gibt zusätzlich zu bedenken: „Wenn ich dann angegriffen werde, aber nicht schießen darf, habe ich ein Problem.“ Denn durch die Pistole in der Hand ist man handlungsunfähig.

Auf dem Schießstand wird den illustren Gästen daher der von den Eutiner Trainern ausdrücklich favorisierte „Deut-Schuss“ vorgeführt: Die „Walter P6“ so lange wie möglich – allerdings entsichert – im Holster behalten, erst bei Bedarf ziehen, gerade auf das Ziel „deuten“ und schießen. Der gelehrige Innenminister zog, zielte und traf in nur 1,3 Sekunden.

Auch beim obligatorischen Selbstverteidigungstraining setzen die Eutiner auf Vereinheitlichung. „Das erste, was wir lernen müssen, ist, die Hände oben und damit Faustdistanz zu behalten“, sagt Ausbilder Arne Claussen. Denn der Angreifer wolle an den Kopf. „Auf der Straße gibt es keine Regeln“, warnt Claussen, „jeder Zweite hat heute ein Messer dabei.“ Den BeamtInnen wird eingebläut, in bedrohlichen Situationen die „L“-Stellung einzunehmen, das heißt, seitlich versetzt aufzutreten und spontan zu entscheiden, wer den „Zugriff“ macht. Dann mit gezieltem Griff den Kopf nach hinten drücken, so dass die Person das Gleichgewicht verliert, zu Boden gebracht und festgenommen werden kann.

In Schleswig-Holstein läuft derzeit eine heftige Debatte um die Ausrüstung der Landespolizei mit dem asiatischen Nahkampfstock „Tonfa“. In Eutin wird daher auch schon mit Tonfas trainiert, obwohl ihn, so Trainer Jürgen Kobza, bislang nur „bestimmte Beamte“ einsetzen dürfen. „20 Stunden Grundausbildung und dann sechs Stunden Training pro Jahr sind Voraussetzung“, sagt Kobza.

Mit dem neuen Pfefferspray sind hingegen bereits alle VollzugsbeamtInnen ausgerüstet. Und nach Eutin brachte Buß außer persönlichem Körpereinsatz auch noch persönlich die frohe Kunde mit: Insgesamt über fünf Millionen Mark hat Schleswig-Holstein für die flächendeckende Ausrüstung mit Schutzwesten eingeplant. Dazu muss bei jedem der 2970 Polizistinnen und Polizisten Schleswig-Holsteins Maß genommen werden.

Ein ganzes Arsenal von Westen hängt zurzeit im Minister-Büro. „Ich habe alle 40 Modelle ausprobiert“, verkündet Buß stolz im Schießstand. „Wir werden noch in diesem Jahr bestellen.“

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