: Züngelnde Unterschenkel
■ Müde Choreographie, ungebrochene Begeisterung: „Tango Pasión“-Revue im Thalia
Sie tanzen in den Himmel hinein. Aus dem herangezoomten Sternenbild schält sich ein buntes Strichmännchenpaar und hakelt hoch über den Köpfen der gleitenden Paare die hingekrakelten Beine umeinander. Tango goes digital. Die fiebernd flirrende Sehnsucht hat ihr projiziertes Bild. Auf dass die Show ewig währt.
Seit 1993 tourt Erfolgsproduzent Mel Howard mit seinem schmackhaften Cocktail aus argentinischer Seele und Broadway-Flair um die Welt. In Hamburg ist beim dritten Gastspiel der Tango Pasión, diesmal im Thalia Theater, die Begeis-terung ungebrochen. Und ist auch das Korsett der Rahmenchoreografien von Hector Zaraspe etwas rissig geworden, die hervorragenden Tanzpaare zeigen sich kein biss-chen müde. Denn das Geheimnis des Konzeptes liegt darin, dass Howard sechs seit Jahren aufeinander eingeschworene Tanzpaare engagiert hat. Ihre Originalität und Stilsicherheit ist bestechend, und am besten sind sie, wenn Zaraspe ihren ausgeklügelten Variationen freien Lauf lässt.
Natürlich zielt alles auf Virtuosität und Effekt. Knisternde Erotik und schmachtende Sehnsucht sind genau kalkuliert. Und manchmal werden die Klischees von männlichem Machismo und raffinierter Weiblichkeit reichlich strapaziert. Dann findet der Tanz seinen Höhepunkt im immergleichen Bravourstückchen. Mann und Frau wirbeln umeinander, während ihre Unterschenkel in schnittigen „cortes“ wie züngelnde Schlangen um Beine und Hüften des Partners schnellen. Tango ist eben ein Spiel, das hier mit Witz und Charme in atemberaubendem Tempo vorgeführt wird. Jedenfalls im ersten Teil, zu dem die betagten Herren des wundervollen Tango-Orchesters Sexteto Mayor Ohrwürmer und Evergreens erfrischend neu aufleben lassen. Wenn ihnen die Bühne gehört, nimmt der schillernde Widerstreit der Gefühle im Tango imaginäre Gestalt an. Auch Astor Piazollas tango nuevo verwandeln sie in ein raffiniertes Erlebnis. Dem Choreografen sind hierzu allerdings nur abgegriffene Posen eingefallen, die dem zweiten, erneuerten, Teil mächtige Durchhänger bescheren. Irmela Kästner
bis 5. September, Di–Sa 20 Uhr, Sa auch 16 Uhr, So 15 + 19 Uhr, Thalia Theater
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