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Schaustelle ohne Baustellen

Viele große Bühnen haben bis September geschlossen. Das kulturelle Sommerprogramm firmiert unter „Schaustelle Berlin“, die mit zunehmendem Baustellenmangel ihr Gesicht wandelt

von TILMAN VON ROHDEN

Derzeit wird die Hauptstadt von einem Ungeheuer der besonderen Art heimgesucht. Es tritt endemisch jedes Jahr auf Neue auf, ohne dass die Verantwortlichen auf schlagende Gegenstrategien zu sinnen scheinen. So treibt es Jahr für Jahr sein Unwesen vor aller Augen: das Sommerloch.

Während es in der Politik harmlose Spitzenkandidaten in den alles vernichtenden Schlund zu ziehen droht, um sie in München wieder auszuspucken, scheint das Ungeheuer auf kulturellem Gebiet seine Kräfte etwas erschöpft zu haben. Zwar regiert es immer noch den Kulturbetrieb in grauenhaft entstellender Weise: An den großen staatlichen Bühnen ist die Abstinenz derzeit Programm. Die Deutsche Oper öffnet wieder am 15. September, die Staatsoper Unter den Linden immerhin schon zwei Wochen vorher. Aber abseits der großen Bühnen sprießt für das Ungeheuer namens Sommerloch unverdauliches Grün.

Begonnen hat alles im Jahr 1996, als die Stimmung auf dem Tiefpunkt war: Berlin schien eine einzige Baustelle zu sein, erfunden um den Autofahrern das Leben im Dauerstau sauer zu machen. Überall der ausgebaggerte Dreck kaum zu überblickender Großbaustellen, vom Lärm nicht zu reden. Da kam den verzweifelten Organisatoren des Chaos die Idee, aus den Baustellen Schaustellen zu machen. So trieben sie Horden interessierter Betongucker über die ausgeweideten Areale. Doch damit ist zusehends Schluss, denn auch den ambitioniertesten Betonierern kommt einmal die Lust abhanden. Oder der Beton? Jedenfalls ist es aus: Der Potsdamer Platz ist mehr oder weniger fertig, ebenso das Regierungsviertel. Zwar erobern sich die Baustellen Berlin zurück, am Leipziger Platz und demnächst wohl auch am Alexanderplatz, doch so schön wie in der Vergangenheit wird’s nie wieder.

Die Schaustellen ficht das nicht an. Sie zogen sich frühzeitig auf den Singular zurück und machen seit dem unter dem Dach von „Partner für Berlin“ Programm. Das diesjährige Heft umfasst 161 Seiten. Die wenigsten Aktivitäten finden noch auf Baustellen statt. „Wir haben im Laufe der Jahre die kulturelle Komponente kontinuierlich gesteigert, obwohl es sie von Anfang an gab“, sagt der Projektleiter der Schaustelle Felix Eisenhardt. So gab es dieses Jahr erstmals ein All Nations Festival: die in Berlin beheimateten Botschaften sollten sich dem Publikum öffnen. Es machten zwar nur rund ein Dutzend Gesandtschaften mit, aber Eisenhardt hofft auf regeren Zuspruch für die Zukunft.

Botschaften, Regierungsgebäude und das Parlament sind jetzt die Renner, nachdem die Baustellen verschwunden sind. „Wir orientieren uns am Entwicklungsfortschritt der Stadt“, bemerkt Eisenhardt zur Programmatik der Schaustelle, die vielleicht deshalb im Bewusstsein der Berliner etwas konturenlos bleibt.

Dies mag auch daran liegen, dass die Schaustelle nur als Dachmarke für Ausstellungen, Bühnen- und Musikveranstaltungen, Festivals und Events, Sport und Messen auftritt. Aufgenommen wird so gut wie jeder Kulturmacher, der etwas zu bieten hat. Selbst organisiert ist das Allerwenigste – schon eher angeregt. „Wir sind ein Verstärker vorhandener Ideen“, so Eisenhardt. Manchmal könne die Schaustelle hadernde Kulturmacher überzeugen, ihre Pläne umzusetzen. Schließlich würden die Veranstalter durch die angebotene Marketingplattform einen Haufen Werbekosten sparen.

Das, was sich im so genannten Sommerloch an Kultur übers Volk ergießt, ist so reichhaltig, dass sich die despektierliche Bezeichnung fast von selbst verbietet. In den Worten von Kerstin Schneider, Sprecherin von Kultursenatorin Adrienne Goehler: „Das Loch hat eine Delle.“ Ganz zu flicken sei das Loch nicht, so Schneider. Sie fragt sich, ob das überhaupt sinnvoll ist. Denn die Vergangenheit habe gezeigt, dass in den Sommermonaten bestimmte Kulturangebote nur schlecht angenommen würden. So habe es mit den Staatlichen Bühnen Beratungen gegeben, in deren Folge die Komische Oper ihre Spielplan bis in den August verlängerte. „Doch der Publikumszuspruch blieb hinter den Erwartungen zurück“, sagt Schneider. Rechnen würde sich das nicht.

Auf eine Kulturmüdigkeit darf man daraus aber nicht schließen, eher auf eine Unlust sich mit schwerer Ernsthaftigkeit in dunklen Räumen zu belasten. Open-Air-Veranstaltungen laufen jedenfalls gut. Und auch Shows in geschlossenen Räumen lassen sich vermarkten, wenn die Kost nur sommersalatleicht ist. Die Veranstaltungen im Wintergarten, wo derzeit Max Raabe gastiert, sind nach Auskunft von Konrad Rausch, Sprecher vom Betreiber Peter Schwenkow, auch bei schönstem Wetter ausverkauft. Und das ebenfalls von Schwenkow geführte Unternehmen Stella, das den „Glöckner von Notre Dame“ ohne Sommerpause buckeln lässt, spiele vor gut gefüllten Rängen, so Rausch. „Der Glöckner“ zeige sich vom Sommerloch zwar nicht unbeeindruckt, aber besondere Aktionen, beispielsweise für Familien, würden ein Spiel en suite möglich machen.

So ist abzusehen, dass die vielfältige Sommerkultur den Augustnörglern das Leben immer schwerer macht.

Infos: www.berlin.de/schaustelle

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