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Literarische Salons, Sci-Fi und ein Bär

Nicht nur unterhaltsam: Ausblick auf die kommende Spielzeit im Monsun Theater  ■ Von Petra Schellen

Das Flüchtige liebt sie noch immer. Und den Wind, der ständig seine Richtung ändert, sowieso. Was nicht heißt, dass Ulrike von Kieseritzky, Leiterin des Theaters Monsun in der Ottensener Friedensallee, keine Stringenz anstrebe: Osteuropäische Regisseure, Identität suchende Stücke, Tanztheater und regelmäßige „Russische Salons“ hat sie in ihrem Theater eingerichtet, Kinder- und Erwachsenenstücke angeboten – und die Zahl der Veranstaltungen seit 1998 um 50 Prozent gesteigert. Und während das kleine Theater 1998 auf 3700 Besucher kam, rechnet sie für dieses Jahr mit insgesamt 9000 – eine Steigerung um mehr als 100 Prozent in den vergangenen drei Jahren, die Kieseritzky auch auf ein langsam wachsendes Stammpublikum zurückführt. „Großen Anklang haben die Tango-Tanznächte gefunden“, resümiert sie, auch das Peer Gynt-Stück sei gut besucht gewesen, „und wenn die Schauspieler nicht immer schnell woanders verpflichtet wären, hätten wir das Stück das ganze Jahr über gespielt.“

Am Südpol, da ist es heiß soll zu den Highlights der kommenden Saison zählen, in Szene gesetzt von Michael Kaller und Hans-Chris-toph Michel und ab 18. Oktober zu sehen. An Elke Heidenreichs Kinder-Erwachsenen-Bilderbuch von den befrackten Pinguinen, die sich auf ein besonderes Gesangsereignis vorbereiten, ist die Inszenierung orientiert, die sich zwischen Ernsthaftigkeit und Humor bewusst nicht entscheidet. Ein Schritt, den auch das Stück Chagrin in drei Teilen nicht vollzieht, das unter der Regie von Wladimir Tarasjanz ebenfalls im Oktober Premiere haben wird. Graham Greenes Erotischen Komödien ist der Text entnommen, der einen Schriftsteller eine aufkeimende Liebesbeziehung zweier Frauen im Café beobachten lässt.

Peter Per wird die Collage Rote Finsternis in Szene setzen, einer Erzählung des polnischen Science-Fiction-Autors Stanislaw Lem nachemfunden, dessen Romane langsam ähnlichen Kultstatus wie Orwells 1984 erlangen. Aber eigentlich ist es egal, ob etwas als Sci-Fi, als Kinderliteratur oder als Mythos definiert wird, ist doch das Voranschreiten der Zeit ganz und gar nicht gesichert – so wenig wie das subjektive Zeitempfinden.

Ein Bär will sie retten lautet der Titel des von Mahmut Canbay inszenierten kurdischen Märchens, das das klassische Monstermotiv verarbeitet: Ein Bär rettet eine Frau vor deren gewalttätigem Ehemann und verliebt sich in sie, aber sie hat natürlich Angst. Ist auch kein Wunder, hat der Riesenbär ihr doch früher allerlei Leckereien gestohlen. Und wenn man bedenkt, dass ihr Mann im Dorf selbstverständlich auf die Suche nach seiner Frau geht, lässt sich schon ahnen, welch dramatische Dimension die Geschichte annehmen wird. La belle et la bète? Man wird sehen.

Oder soll man sich vielleicht lieber (oder danach) dem Wunder-Weib der Geschichte der Nowosibirskerin Nina Sadur zuwenden, das im November zu beobachten sein wird und ebenfalls irgendwo zwischen Mythos und Märchen wohnt? Denn Wald- und Feldgeis-ter können schließlich überall vorkommen, und wer schon nächtens in nebligen Wäldern wandelte, kann sich gut vorstellen, dass derlei existiert. Und wer weiß, vielleicht waren die Wald- und Feldwesen schon viel früher da als wir. Womöglich ist das Wunderweib auch mit Shakespeares Hexen in Macbeth verwandt. Das Thema des Stückes jedenfalls ist so aktuell wie Peer Gynts Identitätssuche: die Frage, ob der Mensch – subjektiv, wie er ist – überhaupt in der Lage ist, sich und seinen Status in der ihn umgebenden Welt einzuschätzen.

Doch mit solch unterhaltsamen Projekten begnügt sich Ulrike von Kieseritzky nicht: Ein zyklisches Jugendprojekt, das genreübergreifend die Entstehung des Rechtsextremismus, von Anderssein und Abgrenzung thematisiert, schwebt ihr vor – „für die Gruppe der 14- bis 18-Jährigen“. Außerdem plant sie eine neue Veranstaltungsreihe, die die „Russischen Salons“ ergänzen soll: Literarische Salons sollen künftig – voraussichtlich ebenfalls einmal im Monat – stattfinden. Ihr bislang noch vages Profil soll sich bald schärfen. Vorläufig ist an Themen-, Genre- und Länderschwerpunkte gedacht.

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