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Schönes Gesamtkleinkunstwerk

■ Diablo, Vertikaltuch und Fußball des 17. Jahrhunderts: Zum dritten Mal gab es im „Scenario“ eine Varieté-Show

In der Kultur kommt mit der Zeit alles wieder! Anfang der 90er Jahre drehte Rolf Wolle mit „Astoria – es war einmal ein Varieté“ einen Dokumentarfilm über diese große bremische Institution für die gepflegte Kleinkunst, und das Klagelied „Das kommt nur einmal, das gibt's nie wieder“ lieferte dabei das passende Leit(d)motiv. Prompt begann kurz danach eine Renaissance des Varietés, die nun endlich auch in Bremen angekommen ist. Schon zum dritten Mal gab es nun mit „varieté total“ in den ehemaligen Räumen des Jungen Theaters drei Wochenend-Abende mit einem Kleinkunstprogramm. Die Betreiberin des „Scenario“, Simone Meyer-Heder, hatte zusammen mit der Berliner Akrobatin Daniela Franzen diese Idee einer regelmäßigen Veranstaltungsreihe, und wenn auch jetzt wieder trotz Sommerlochs die Stuhlreihen gut gefüllt sind, kann man inzwischen wohl zum Erfolg gratulieren.

Jedesmal ist das Programm völlig anders, und es gibt offensichtlich schon Stammgäste, die sich hier jeden Monat wieder stilvoll unterhalten lassen. Solch ein gemischtes Publikum sieht man übrigens selten: Kleine Mädchen im Vorschulalter saßen da neben alten Varieté-Connaisseuren, die vielleicht schon Zarah Leander im oben erwähnten Astoria erlebt haben. Die Frauen waren in der Mehrheit, aber dafür gab der Moderator Gernot Frischling auch gleich den Grund an: In Berlin war bei einer Publikumsbefragung herausgekommen, dass die Frauen sich im Varieté auf Magie, Poesie und muskulöse Männerkörper freuen, während die meisten Männer nur von ihnen mitgeschleift werden und viel lieber zu Hause im TV Fußball gucken würden.

Vielleicht hat der Moderator da aber auch etwas geflunkert, denn auch die Männer schienen sich im Varieté gut zu amüsieren. Allerdings hörte man sie besonders laut über Frischlings Fußballwitze lachen. Dessen kurze Einführung in das Regelwerk des Spiels im 17. Jahrhundert war auch der komische Höhepunkt des Abends. Angetan in ein historisches Strumpfhosenkostüm mit einer großen angenähten „8“ auf dem Rücken, tänzelte er uns vor, wie man wohl einst im höfischen England gedribbelt, geköpft und gefoult haben mag. Eine schöne Mischung aus absurden Anachronismen und Körperbeherrschung, denn Moderator Frischling ist in erster Linie Tänzer und hat als solcher lange in Bremen bei Kresnik getanzt.

Bel canto in schönstem Italienisch mit der richtigen Mischung aus Poesie und Pathos bot die Bremer Sängerin Uta von Kameke, begleitet von Michael Rayhner am Klavier – mehrmals am Abend in kleineren Dosen war dies genau richtig angestimmt, und auch sonst war das Programm geschickt ausbalanciert: Keiner war zu lange auf der Bühne. Es gab auch keinen Topact, der durch dramaturgische Steigerung gewinnen würde. Alle Akrobaten zeigten sympathisch kleine Kunststückchen, die den Saal nicht gerade rasen ließen, aber jeweils solide und mit viel Charme präsentiert wurden. So machte es gar nichts, wenn die junge Lena Köhn ihre Diabolos beim Umherjonglieren mal fallen ließ. Der Holländer Joss hob die Bremerin Caro mit viel Muskelkraft in anmutige Posen, und dabei kamen je nach Bewegung immer neue Bodypaintings auf ihren Gliedern ins Bild. Adeo verwickelte sich über den Köpfen des Publikums sehr anmutig und hochkompliziert in sein „Vertikaltuch“, und ein sehr höflicher Zauberer namens Olaf Kohrs ließ überall brennende Zigaretten auftauchen, obwohl das Rauchen im Scenario streng verboten war.

All das wurde sehr geschmackvoll und unterhaltsam zu einer Art Gesamtkleinkunstwerk verwoben, dazu konnte man noch leckere Häppchen, nein „Fingerfood“ heißt das jetzt, bestellen – ein schöner Abend voller handgemachter Unterhaltung ist hier garantiert, und es gibt keinen Grund, warum dies bei den Veranstaltungen in den nächsten Monaten nicht auch so sein sollte. Wilfried Hippen

„varieté total“ findet jeweils am zweiten Wochenende des Monats freitags, samstags und sonntags im „Scenario“, Friesenstraße 16/19, statt.

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