Gespräche über Gespräche geplatzt

Einen Monat nach dem gescheiterten pakistanisch-indischen Gipfeltreffen können sich beide Seiten nicht auf eine Fortsetzung der Gespräche einigen. Pakistan unterstützt weiterhin militante Separatisten in Kashmir und die massakrieren wie bisher

aus Delhi BERNARD IMHASLY

Indien und Pakistan haben ihr Ziel verfehlt. Einen Monat nach dem Gipfeltreffen zwischen Indiens Ministerpräsidenten Atal Bihari Vajpayee und Pakistans Staatschef Pervez Musharraf schafften es die Staatssekretäre der Außenministerien beider Länder am Freitag in Sri Lanka nicht einmal, einen Termin oder gar eine Tagesordnung für ein neues Gipfeltreffen auszuhandeln. Zentraler Streitpunkt ist wie immer Kaschmir.

Das erste Gipfeltreffen im indischen Agra war ohne gemeinsamn Erklärung beendet worden. Dennoch betonten beide Länder, die fehlenden Unterschriften in der „Agra-Erklärung“ signalisierten keinen Misserfolg. Mit der Annahme der Einladung zu einem Besuch in Islamabad durch Premier Vajpayee schien die Fortsetzung des Dialogs gesichert.

Inzwischen ist dieser Optimismus verflogen. Ende Juni verabschiedete Indiens hinduistische Regierungspartei BJP eine Resolution, die einen „sinnvollen Dialog“ ausschließt, solange das pakistanische Establishment an der Mentalität eines „heiligen Kriegs“ in Kaschmir festhalte. Ein BJP-Sprecher erklärte, wenn Pakistan nicht bereit sei, das für Indien entscheidende Thema des grenzüberschreitenden „Terrorismus“ ernst zu nehmen, sehe die Partei wenig Sinn in vertieftem diplomatischem Engagement. Auch die unilateralen vertrauensbildenden Maßnahmen, welche Indien im Vorfeld von Agra angekündigt hatte, wurden zurückgestellt. Ein BJP-Vertreter aus Rajastan meinte, er wolle nicht, dass die Öffnung eines Grenzpostens seinen Staat in ein zweites Kaschmir verwandle. Die BJP ist nur eine aus über einem Dutzend Koalitionsparteien, die Regierung ist nicht gezwungen, deren Beschluss umzusetzen.

Der nötige Koalitionskonsens ist auch einer der Gründe, warum Vajpayee bisher eine konziliantere Linie verfolgte als die Nationalisten seiner Partei. Auch auf dem Parteitag wiederholte er seine Bereitschaft, nach Pakistan zu fahren. Bei seinem Rechenschaftsbericht vor dem Parlament eine Woche zuvor hatte er Fortschritte bestätigt und gesagt, der Dialog gehe weiter. Doch wenig später verschärfte auch er seinen Ton und bezeichnete Präsident Musharraf als einen „Soldaten, der nicht gekommen war, um Frieden zu schließen“. Wenn dieser behaupte, Kaschmir sei das Kernproblem, dann sage er, Vajpayee, dass „der Kern dieses Kernproblems“ Pakistans Kaschmir-Invasion von 1947 sei sowie die illegale Besetzung eines Drittels von dessen Territorium.

Der Ärger, der aus diesen Worten spricht, zeigt, wie sehr die indische Regierung von Musharrafs Auftreten in Agra irritiert war. Dies betraf vor allem das Frühstückstreffen mit indischen Chefredakteueren, bei dem Musharraf, mitten während des Treffens, mit großer Verve Pakistans Forderungen öfentlich ausgebreitet hatte. Die mit dem Gastgeber nicht abgesprochene TV-Aufzeichnung der Philippika vertiefte die Befremdung, und als ein eingeladener indischer TV-Produzent die Videokassette in die Hände bekam und eine Stunde später über seinen Privatsender ausstrahlte, war der Schaden geschehen. Nun schien es, als habe sich Musharraf über die Köpfe seiner Gesprächspartner hinweg direkt an die indische Öffentlichkeit richten wollen. Bei einer Pressekonferenz vier Tage später gelang es ihm erneut, im gleichen Atemzug Indiens Premierminister als Staatsmann zu loben und dessen Regierung als verbohrt darzustellen.

Die Komplimente für Vajpayee waren der Zuckerguss um Musharrafs Kernbotschaft, dass der Kaschmir-Konflikt ein einheimischer Unabhängigkeitskampf sei und dass Pakistan bereit sei, ihn weiterhin zu unterstützen. Doch der PR-Erfolg des Generals genügte, um die indische Regierung zu Hause mit harscher Kritik einzudecken. Sie habe dem Militärdiktator kampflos das Feld überlassen, monierte die Opposition.

Die Stimmung im Regierungslager schlug endgültig um, als mehrere Massaker folgten. Diese waren zudem von militanten Gruppen auf Pressekonferenzen in Islamabad angekündigt worden, ohne dass die Regierung einen Finger rührte. Die Angriffe auf Pilger und die Erschießung von 16 Hindus in einem abgelegenen Dorf im Doda-Bezirk wurden in Delhi als Signal gelesen, dass Pakistan entschlossen sei, den Stellvertreterkrieg wieder zu aktivieren.

Die auch für viele Inder sympathische Direktheit des Generals hat ihm in seinem eigenen Land eine ungeahnte Sympathiewelle gebracht. Seine mediale Beherrschung des Gipfels weckte den Anschein, Pakistan habe Agra als Sieger verlassen, und die hitzige Diskussion in Indien verstärkte diesen Eindruck. Dies führte zu einem nationalen Schulterschluss in der Kaschmir-Frage und dürfte Pakistans Position wieder verhärten.