: Eine lohnenende Investition
Im Vergleich zu den volkswirtschaftlichen Kosten, die der Flüchtlingsstrom verursacht hatte, war der Bau der Berliner Mauer ausgesprochen billig
von RALF GEISSLER
Wenn es darum ging, den Nutzen des Mauerbaus zu beziffern, war Erich Honecker nicht kleinlich. Sechzehn Milliarden Mark habe die DDR bis zum 13. August 1961 durch Abwerbung von Arbeitskräften eingebüßt, klagte Honecker kurz vor seiner Entmachtung 1989 in der Zeitung Junge Welt. Was die Abriegelung des größten Schlupflochs Westberlin gekostet hat, darüber schwieg der greise Mann aber ebenso beharrlich wie sein Vorgänger Walter Ulbricht.
In einer Geheimen Verschlusssache für das Verteidigungsministerium der DDR bezifferte Berlins Stadtkommandant Generalmajor Heinz Poppe die Materialkosten für den Aufbau der Berliner Grenze bis 1965 auf 56,4 Millionen DDR-Mark. Zu diesem Zeitpunkt standen nur wenige Meter Mauer. Der größte Teil der Grenze war mit Stacheldraht gesichert, insgesamt mehr als 150 Kilometer. Wo die DDR-Regierung die vielen Drähte kaufte, ist bis heute unklar. Die westdeutsche „Fachvereinigung Draht“ beteuerte nach dem 13. August, ihre Mitgliedsfirmen hätten nichts geliefert.
Vielleicht auch deswegen war die Berliner Grenze nach Ansicht Poppes billiges Stückwerk, das sozialistischen Qualitätsansprüchen nicht genügte: „Die pioniertechnischen Anlagen tragen oft nicht zur Stärkung des Ansehens der Deutschen Demokratischen Republik bei.“ Die Sperrelemente seien „ohne notwendige Erprobung, bei teilweise ungenügender Fachkenntnis der eingesetzten Kräfte errichtet“ worden. Folglich schlug Poppe den Ausbau vor. Mit Material im Wert von 36 Millionen DDR-Mark sollte die Grenze bis 1970 sicherer werden. Im Preis inbegriffen waren neben 39 Kilometern Grenzmauer und 119 Kilometern Grenzzaun auch 271 Toilettenhäuschen.
Die realen Kosten für die ersten Anlagen und deren Ausbau lassen sich aus diesen Zahlen freilich nicht entnehmen. Denn die planwirtschaftlich organisierte DDR legte ihre Preise selbst fest. Die taz ließ deshalb das Berliner Planungsbüro für Ingenieurleistungen (PBI) anhand der Materialliste von Stadtkommandant Poppe nachrechnen, was der von ihm gewünschte Grenzausbau heute kosten würde. Statt der angegebenen 36 Millionen DDR-Mark müsste Walter Ulbricht demnach 78 Millionen D-Mark auf den Tisch legen – allein für das Material. Die Toilettenhäuschen sind mit einer halben Millionen Mark der kleinste Posten. „Wir haben jeweils die billigsten Materialien zu Grunde gelegt“, sagt PBI-Chef Teodoro Kroeker. „Schließlich hatte die DDR ja nicht so viel Geld.“
Nimmt man auch für die ersten Anlagen an, dass das Material nach heutigen Preisen doppelt so teuer war wie von Poppe angegeben, so hat die DDR an der Berliner Grenze bis 1970 über 180 Millionen Mark verbaut. Die Betonmauer, die erst später errichtet wurde (siehe unten), dürfte noch wesentlich teurer gewesen sein. Kroeker veranschlagt 400.000 Mark für jeden Kilometer.
Eine reale Gesamtsumme der Mauerkosten von 1961 bis 1989 lässt sich nach Ansicht von Historikern nur schwer rekonstruieren. In die müssten nämlich auch Sold und Gehalt für Personal einfließen. „Die Verantwortung für das Grenzregime teilten sich aber die Armee, die Staatssicherheit und die Volkspolizei“, sagt Hans-Hermann Härtle vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Schon deswegen sei die Rechnung schwer aufzumachen. Der Historiker Dietmar Schultke schreibt, dass allein 1988 im DDR-Haushalt 2,21 Milliarden Mark für die Grenzsicherung vorgesehen waren.
In den Sechzigerjahren habe der Unterhalt der Grenztruppen erst eine halbe Milliarde Mark jährlich gekostet, glaubt der Historiker André Steiner, der ebenfalls am Potsdamer Forschungszentrum arbeitet. Die einmaligen Kosten für die Grenzabriegelung 1961 schätzt er auf drei Milliarden Mark – mit allen Folgekosten von der Verlegung der Bahnstrecken bis zur wirtschaftlichen Abkoppelung vom Westen. Durch den Flüchtlingsstrom waren der ostdeutschen Volkswirtschaft nach Steiners Angaben zuvor 3,7 Milliarden Mark jährlich verloren gegangen. So gesehen, hat sich der Mauerbau für die DDR gelohnt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen