: Immer nur ein paar Striche
Gebrauchsanweisungen für den Körper jenseits von Rassenfragen: Die Zeichnungen von Jean-Michel Basquiat in der Galerie Pictureshow suchen den Weg unter die Haut, wo alle Menschen gleich sind
von HARALD FRICKE
Nun auch noch cool. So sieht ihn Ulf Poschardt. Sein Statement steht gleich an der Galeriewand dem Eingang gegenüber: „Er war der coolste Maler der Gegenwart, keine Frage.“ Das ist ein seltsames Zeitgefühl: Die Gegenwart war Gegenwart, als Poschardt 14 Jahre alt war. Und jetzt ist er seit 13 Jahren tot: Jean-Michel Basquiat. Erst war er Afro-Ethno-HipHop-Graffiti-Artist, dann viel zu früh gestorbenes Junkie-Genie aus New Yorks Künstlerviertel SoHo, später ein Beispiel für die Vermarktung des „Anderen“ und nun eben ein cooler Kumpel aus den Eighties, irgendwie passend zum Revival. Da hat Poschardt den Trend ganz richtig erkannt.
Mit den Zeichnungen von Basquiat, die in der Galerie Pictureshow gezeigt werden, verhält es sich ähnlich wie mit der 80er-Jahre-Rückkehr in Pop und Dancefloor. Deckungsgleich kommen die Dinge nie wieder zusammen. Die Beats von damals klingen heute immer etwas zu hölzern und flach. Und auch die schnell hingekrakelten Kronen und Knochen, die Basquiat meistens auf abgewetzte Pappe oder zerrissenes Abdeckpapier zeichnete, wirken nicht so glossy wie die inszenierte Neo-No-Wave der neuen Malerei. Das macht sie ansehnlicher, nicht so bemüht und weniger parodistisch als die momentane Rückkehr zu wilden Gesten nach Techno.
Tatsächlich scheinen die Arbeiten noch immer auf dem Sprung zu sein, um sich mit ein paar Strichen aufzulehnen gegen den Mainstream. Denn die Codes der 80er-Jahre, vom tanzenden Skelett bis zum Dollarzeichen, beherrschte Basquiat von Anfang an. Bereits 1977 zeichnet er mit „Space Pork“ seine Fantasien vom Alien im Weltall als polizeiüberwachtes Kontrollszenario. Alles erinnert zwar an den blubbernden, bekifften Comicstil der Hippieära, aber schon ein Jahr später sieht sich Basquiat im Selbstporträt als „Stoned on Samo“ eher wie ein gefrorenes Gesicht nach Art von Giacometti. Und es ist diese Maske der Ernsthaftigkeit, die er in der Folge zum nackten Schädel reduziert. Vielleicht lag es am Punk der Downtown von New York, wo er in Abbruchhäusern lebte; vielleicht ist diese Kargheit aber auch seiner Vorliebe für Picassos „Guernica“-Wandbild geschuldet.
Die spröden Zeichen werden zu seinem Stil: immer nur ein paar Striche, dann zeigt sich der Gegenstand in full effect. 1981 trägt der mittlerweile vollständig schematisierte Kopf eine Dornenkrone oder grinst totenstarr von einer Staffelei als Bild im Bild. Überhaupt sucht Bas–quiat ständig den Weg unter die Haut, wo alle Menschen ungefähr gleich sind, in der Anatomie der Hüftknochen und Schultergelenke. Eine Serie mit 18 schwarzen Drucken entpuppt sich so als eine subtile, medizinische Studie des Sozialen: Offenbar interessierte sich Basquiat dafür, den Körpern eine Gebrauchsanweisung mit auf den Weg zu geben, die sie jenseits von Rassenfragen für das Leben in der Großstadt tauglich machte.
Dabei geht er mit viel Sympathie für alltägliche Situationen vor. Teerlaster fahren vorbei, ein Gefängniswächter winkt aus der offenen Tür heraus, ein paar hochhackige Schlapfen stehen neben einem aufgemalten Hinkepottspiel am Straßenrand. Was immer ihm an Wünschen und Wirklichkeiten in den Sinn kommt, Basquiat hält es unmittelbar fest. Weil er die für ihn mögliche Welt am liebsten komplett zeigen will, folgen immer schneller immer neue Motive. Statt einer Kamera zeichnet er drei, weil mehr Kameras auch mehr sehen können.
Es ist die Geschichte einer Besessenheit, die sich bei Basquiat freudig im Zeichnen entlädt. Die Probleme mit Drogen gehören vermutlich mit in diesen Zustand der freejazzenden Raserei. Die Überdosis Heroin kam erst mit den Problemen seines in Großgalerien durchkapitalisierten Ruhms. Schließlich ist es ein Unterschied, ob man macht, was man will, oder was alle wollen. „. . . and now he’s on the Easy Street“, soll Andy Warhol damals über Basquiats irrwitzige Karriere gesagt haben. Auf einigen Fotos aus dieser Zeit sieht er trotzdem skeptisch aus, selbst als Madonna ihm 1982 zu Füßen kniet. Nur einmal sieht Basquiat ganz zufrieden aus – in Disneyland. Das Foto hängt direkt neben Poschardts Bekenntnis zum Cool.
Bis 23. 9., Di–So 14–21 Uhr, Galerie Pictureshow, Oranienburger Str. 27
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