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Kleine Erfahrungen von unterwegs

Bildungsreise auf den Highways, Sesshaftwerden in einer Holzhütte: Solche Standardsituationen der amerikanischen Kultur versucht Mark Cirino in seinem Roman „Arizona Blues“ noch einmal fruchtbar zu machen. Am Ende läuft alles darauf hinaus, der Frontmann des eigenen Lebens zu werden

von FRANK SCHÄFER

Auch in den USA schreiben junge Menschen Popliteratur, nur macht man nicht so viel Gewese drum, weil es sie dort schon immer gab, seit es Popliteratur gab, das heißt seit den Fünfzigern und den „Beats“. Mark Cirino, Jahrgang 1971, so etwas wie die große weiße Hoffnung des Genres, hat zwei von der US-Kritik sehr gelobte Romane veröffentlicht und darf schon in Manhattan Creative Writing unterrichten. So einfach und unverkrampft geht das da.

„Arizona Blues“, sein zweites Buch, ist gerade auf Deutsch erschienen und erfüllt die Gattungsvorgaben, wie man es sich nur wünschen kann: Viel Musik wird hier zitiert, zumeist die Klassiker Pretenders, Stones, Velvet Underground, Van Morrison (und der Country-Filigranist Steve Earle tritt sogar in persona auf). Cirino scheut sich auch nicht, die altbekannten, vom Kino kolportierten Stereotypen und Standardsituationen der amerikanischen Kultur noch einmal fruchtbar zu machen – etwa die Reise durch die Staaten zum Zwecke der Selbstfindung. Und vor allem liefert er Empirie.

„Diese kleinen Erfahrungen, die man unterwegs nebenbei macht, sind es, die man sich merken sollte“, schärft uns Clay ein, der Ich-Erzähler und Frontmann einer in der New Yorker Szene ziemlich angesagten Bluesrockband. „Nicht den trivialen Quatsch, den sie dir auf der Uni erzählen. Mein Ziel ist es, mir die Weisheit der ganzen Welt zunutze zu machen. Genau. Eines Tages werde ich ein Meisterschüler dessen sein, was man auf der Straße lernt.“

Das muss man wohl poetologisch auslegen. Denn um Weltwissen und nur darum geht es auch Cirino. Wie sein Alter Ego, dieser moderne Spinozist und Mystiker in einem, feiert er das Leben in dessen alltäglichen Facetten. Und seine liebevollen, expressiven Detailbeschreibungen, die noch sprachlich ihre Erdenschwere demonstrieren, indem sie fast ausschließlich mit „Wie“-Vergleichen operieren und ganz ohne Metaphern im eigentlichen Sinne auskommen, haben bisweilen durchaus etwas von einem Gottesbeweis: „Ich mag diese Leadgitarristen beim Country & Western, die scharfe Frills wie zischelnde Graffitistreifen spielen, sauber wie die Fingernägel eines Mädchens beim Schulball.“ Und Clay selbst versucht sich dann an einer Mini-Theodizee, wenn er nach einer harten Nacht auf dem Highway über eine Portion Pommes Frites ins Schwärmen gerät: „Ein paar Fritten sind noch übrig, und sie tun mir so verdammt gut. Ich finde Jesus in jedem Salzkorn.“

Wer so engagiert das Leben auf diesem unvollkommenen Planeten verteidigt, auch wenn er Leid und Trauer keineswegs ausspart, ist im Grunde seines Herzens ein Konservativer. Und ein nachgerade archetypischer, uramerikanischer und in dieser menschenfreundlichen Liberalität nicht mal so unsympathischer Konservativismus spiegelt sich denn auch im Inhalt von „Arizona Blues“.

Clay sitzt an seinem 27. Geburtstag allein in einer Bar und lässt das letzte Jahre Revue passieren: den Geburtstag davor, den er mit dem losen Groupie Molly und einer Prise Koks in einer dunklen Seitenstraße verbringt; den brutalen Überfall ihres bis zum Jähzorn eifersüchtigen Redneck-Lovers, der nach einem grandiosen Konzert der Band in die Bar gestürmt kommt und den Falschen absticht, nämlich Clays besten Freund Randy; und schließlich seine Flucht quer durch die Staaten nach Arizona, wo er Shana kennen lernt und schließlich sesshaft wird – nach Pioniersart in einem Holzhaus, am Rande der Gesellschaft.

Schier auf der Stelle tretende Kapitel, in denen Clay skrupulös und sensibel für die Poesie flüchtiger Situationen die letzten paar Minuten vor der Schließung der Bar schildert, wechseln sich ab mit straight wegerzählten Rückblenden. Bis die Vergangenheit bei der Gegenwart anlangt. Schließlich holt Shana Clay ab, weil der alte Band-Bus, eins der letzten Relikte seines vorherigen Lebens, nicht mehr anspringt, und bringt ihn im Wortsinne – nach Hause. Ein bisschen erinnert die ganze Erzählkonstruktion an den Entscheidungsmonolog im klassischen Drama, der hier freilich auf Romanformat ausgedehnt wird. Clay wägt ab, indem er sich das Geschehene noch einmal vergegenwärtigt, und er entscheidet sich am Ende des Buches gegen den Exzess, gegen das urbane Chaos, auch gegen die Prätention, Kunst machen zu wollen – und stattdessen für das einfache Leben. Und er spricht sich selber Mut zu: „. . . wenn ich es mir genau überlege, ist es trotzdem möglich, zu singen, selbst wenn du nicht auf einer Bühne stehst. Dann wirst du der Frontmann deines eigenen Körpers, du wirst dich selbst und die ganze Welt besitzen, und du wirst ganz ruhig durch die verrücktesten Tage schlendern . . . Sing, Junge, singe für die Frau, die du liebst.“

Aber Cirino ist glücklicherweise New Yorker genug und verkauft uns diese ja doch ein bisschen simple und wohlfeile Südstaatenmoral nicht gleich als allein selig machendes Heilsbekenntnis. Clays Lebensentwurf bleibt individuell und wird nirgends zum Paradigma aufgebläht, weil Cirino nicht mehr weiß als sein Erzähler. Und der gibt im letzten Kapitels, in einer langen Anrede an den Leser, die eigene Unsicherheit zu: „Äh . . . ich weiß keine Antworten. Ehrlich nicht . . .“

Mark Cirino: „Arizona Blues“. Aus dem Amerikanischen von Regina Winter und Michael Hein. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg 2001, 326 Seiten, 33 DM

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