piwik no script img

5.000 Flüchtlinge und kein Wasser

In Ugandas Nordosten fordert das Nomadenvolk der Karimojong die Zentralmacht heraus: Überfälle und Viehdiebstähle haben zehntausende Angehörige von Nachbarvölkern in die Flucht getrieben. Die Vertriebenen leben unterversorgt im Elend

aus Katakwi LEVI OCHIENG

Der Radfahrer hatte gerade einen Soldaten nach Hause gebracht, als die Krieger angriffen. Sie erschossen ihn auf offener Straße. Sechs Tage später schritten die Kämpfer der Karimojong zum Großangriff: Als Landratschef Steven Ilemukoret gerade zu einer öffentlichen Versammlung im Dorf Mogoro sprach, eröffneten sie auf die Menge das Feuer. Am nächsten Tag zündeten sie im Dorf Adokari, nur fünf Kilometer entfernt, Häuser an und stahlen Lebensmittelvorräte.

Im Distrikt Katakwi herrscht Krieg. Karimojong-Nomaden aus den Nachbardistrikten Moroto und Kotido fallen regelmäßig ein, stehlen Vieh und zerstören Siedlungen. 88.000 Menschen haben ihre Heimat verloren – ein Drittel der Distriktbevölkerung.

Die Lage dieser Binnenflüchtlinge ist dramatisch. Nach offiziellen Angaben gibt es 37 Flüchtlingslager; Hilfsorganisationen zählen über 60. Im Lager Tumusumu leben etwa 400 Menschen in 50 winzigen Grashütten. Mütter, Väter und Kinder schlafen auf der nackten Erde oder auf Heuhaufen. Latrinen gibt es nicht. Im Lager Magoro gibt es immerhin vier Latrinen – aber das muss für 3.000 Flüchtlinge reichen. Die Rinder, die nicht gestohlen wurden, leben zusammen mit den Menschen im Kral.

Das Lager Aketa hat 5.000 Einwohner und keine Wasserquelle . Im ganzen Distrikt gibt es nur einen sauberen Strom, aus dem Trinkwasser gewonnen werden kann. Die Verwaltung plant, fünf Wasserlöcher zu graben, aber sie verlangt von den betroffenen Bevölkerungen einen Beitrag von umgerechnet knapp 300 Mark und von der lokalen Gemeindeverwaltung weitere 400. Dieses Geld haben die Menschen nicht.

Der 50-jährige Francis Ariko hat in den neuen Feldzügen der Karimojong über 100 Stück Vieh verloren. Sein Gesamtverlust seit Beginn des Krieges 1987 ist 2.000 Stück. Damals, ein Jahr nach der Machtergreifung der heutigen ugandischen Regierung unter Präsident Yoweri Museveni, brach im Norden Ugandas die Rebellion der „Holy Spirit Movement“ unter der fundamentalistischen Priesterin Alice Lakwena aus. Lakwena lebt heute in Kenia, die Nachfolgebewegung ihrer Gruppierung namens „Lord’s Resistance Army“ operiert weiter westlich. Hier im Nordosten Ugandas sind es nun die Karimojong-Krieger, die das Land verwüsten.

Der Konflikt zwischen den Karimojong und dem Teso-Volk in Katakwi hat komplexe Ursachen. Die Karimojong sind traditionell ein Kriegervolk, gegliedert in mehrere Stämme, das seine Stärke an der Anzahl seiner Rinder misst. Sie leben ein äußerst primitives Leben; ihr Siedlungsgebiet im Nordosten Ugandas ist kaum erschlossen. Da sie nun aber zu Uganda gehören, beanspruchen sie alle Rinder in Uganda für sich und unternehmen regelmäßige Feldzüge gegen benachbarte Nomadenvölker. Moderne Waffen haben sie seit 1979, als sie während der Wirren um den Sturz des Diktators Idi Amin die Kaserne von Moroto ausplünderten. Seitdem betreiben sie regen Waffenhandel, unter anderem Richtung Sudan.

1996 unternahm die Regierung ein Entwaffnungsprogramm in der Region, das aber hauptsächlich die Teso traf, während die schwerer zu kontrollierenden Karimojong ihre Waffen behielten. Dann stellte der Staat in Katakwi bezahlte Milizen auf, die die Grenze zum Nachbardistrikt Moroti überwachen sollten. Aber das erwies sich als ineffektiv. Als die Angriffe der Karimojong zunahmen, flog Ugandas Militär 1999 massive Luftangriffe gegen sie, bei denen Hunderte von ihnen ums Leben kamen. Das verstärkte bei dem kriegerischen Volk die Neigung, sich weiter zu bewaffnen und sich dem Staat nicht zu beugen.

Seit März 2000 sind die Teso wieder Opfer regelmäßiger Karimojong-Feldzüge. Bewohner von Katakwi sagen, damals habe die Armee ohne klaren Grund aufgehört, die Distriktmiliz zu unterstützen. Armeechef Jeje Odongo äußert sich ausweichend zu diesem Vorwurf: „Ich kann die Armee nicht beschuldigen, ohne die Lage zu beurteilen, weil sich die Tatsachen ständig verändern“, sagt er.

Die Bitterkeit der Distriktverwaltung richtet sich nicht nur gegen die Armee. Ugandas Distrikte hängen finanziell von Zuwendungen des Zentralstaates ab. „Diese Zahlungen sind projektgebunden“, erklärt Katakwis Verwaltungschef Nicholas Ochakara. „Wenn ich versuche, diese Gelder für die neue Katastrophe einzusetzen, sagt die Regierung, das ginge nicht.“ So können die Flüchtlinge nicht versorgt werden. Eigene Mittel hat der Distrikt nicht. Katakwi ist bitterarm. Die Straßen sind vom Busch überwuchert. Viele Dörfer sind verfallen und verlassen.

Besonders dramatisch ist die Lage bei der Gesundheitsversorgung. Die Bewohner der Flüchtlingslager müssen 15 bis 20 Kilometer zu Fuß zurücklegen, um ein Gesundheitszentrum zu ereichen. Diese Zentren aber sind unterbesetzt und haben oft keine Medikamente. Impfprogramme für die Lagerbevölkerung, die Seuchen verhindern könnten, gibt es nicht.

Während die Karimojong den Busch unsicher machen, greifen die Flüchtlinge zu drastischen Mitteln, um zu überleben. Sie verheiraten ihre Töchter schon im Alter von 14 Jahren – denn bei Hochzeiten kriegt die Familie der Frau Brautgeld von der Familie des Mannes, in Form von Kühen. Es ist eine Kette: Jede Familie braucht Kühe, um die Vermählung der Söhne bezahlen zu können, aber keine Familie will die Kühe lange behalten, denn man weiß ja nie, wann die Karimojong-Krieger kommen und sie stehlen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen