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Gib mir mein Geräusch zurück

Jedem Club sein Label: Nach dem Vorbild von Tresor, WMF und anderen hat jetzt auch das Podewil mit „X-Tract“ eine eigene Veröffentlichungsplattform und betreibt darauf die Fortsetzung seines Veranstaltungsprogramms mit anderen Mitteln

Als verbindendes Glied stellt sich dabei vor allem das Geräusch heraus

von ANDREAS HARTMANN

Clubs sind meist bestrebt, mehr als reine Kulturabwicklungsstätten zu sein. Sie verstehen sich als soziale Biotope, Treffpunkte oder Szene-Vernetzungsaggregate. Clubs versuchen, sich ein bestimmtes Profil zuzulegen und bestenfalls Synonym für eine bestimmte Art von Musik zu werden. Die Knitting Factory in New York als Hort des Freejazz, aber auch der Mojo-Club in Hamburg mit allen Spielarten von Wohlfühlsound sind Beispiele für derartige Effekte. Beides sind auch Clubs, die zudem noch ein Label betreiben, das zusätzlich dazu beitragen soll, eine bestimmte Corporate Identity zu erarbeiten und diese nach draußen zu tragen.

Das Podewil, das je nach Betrachtungsweise gar kein Club oder aber mehr als ein Club ist, wartet nun ebenfalls mit seinem neu gegründeten hauseigenen Label „X-Tract“ auf, das dafür sorgen soll, das experimentelle Selbstverständnis dieser Institution zwischen Kultur und Subkultur und deren Suche nach musikalischen Ausdrucksweisen weit jenseits ausgetretener Pfade zu untermauern. Das Podewil hatte es in den letzten Jahren nie ganz leicht. Prinzipiell ist es offen für alles, von Pop bis Ausdruckstanz, von Trash bis zur Uraufführung einer Symphonie für Datenhandschuh und Fahrradlicht-Dynamo. Allein mit der Vermittlung klappte es oft nicht so recht.

Der Ruf, ein Ort für ein kulturelitäres Nischenpublikum zu sein, konnte trotz aller Bemühungen nie so recht abgestreift werden. Obwohl man einiges dafür unternommen hat. Vor allem Podewil-Kuratorin Elke Moltrecht versuchte aktiv den Schulterschluss einer Neuen-Musik-Avantgarde zur experimentellen Clubszene herzustellen, da sie auf dem popmusikalischen Sektor aktueller elektronischer Musik, wie sie immer wieder betonte, die aufregendsten Impulse für eine zeitgenössische Musik vermutete.

Mit den ersten vier Veröffentlichungen auf X-Tract soll nun versucht werden, die Früchte von Synergieeffekten, die im Podewil zum Blühen gebracht wurden, auf einer anderen Ebene zu ernten. Die CDs sind, wie allein schon der Name des Labels nahe legt, tatsächlich eine Art Extrakt des jahrelangen Auslotens von Anschlussmöglichkeiten zwischen Neuer Musik und experimentierwilliger Clubmusik. Als verbindendes Glied stellt sich dabei vor allem das Geräusch heraus. Die Etablierung des Geräuschs als elementarer Bestandteil von Musik reicht von den Futuristen über John Cage genauso zur Neuen Musik wie zu den abstrakten Soundforschungen bei manchen Spielarten aktueller Clubelektronik. Der Fetischisierung des Geräuschs haben sich alle vier CDs mehr oder weniger zugewandt.

So generiert etwa Rolf Julius wabernde Klangflächen, die keinen Anfang und kein Ende zu kennen scheinen. Und doch werden immer wieder unterschiedliche Zirbtöne dazwischen gewoben oder es wird am Rädchen zur Justierung der Dynamik gedreht, kaum hörbar, aber immerhin. Die Geräuschteppiche von Julius beruhen dabei auf klanglichen Ausgangsmaterialien, die nicht mehr ortbar sind. Manchmal soll der Ursprung der Klänge ein Cello gewesen sein, allein: Man hört es nicht mehr. Schon durch diese Art der Soundverfremdung werden Assoziationen zu einer beliebten Arbeitsweise innerhalb der Dance-Musik geweckt, bei der man Ausgangsklänge so oft durch den Sampler jagt, bis sie völlig verfremdet sind.

So wie Julius in Anlehnung an einen Terminus von John Cage seine Tonminiaturen „small sounds“ nennt, wird Werner Durand bei der Bezeichnung des von ihm verhandelten Klangphänomens bereits in der Wahl des Titels seiner CD „The Art Of Buzzing (Excusee the Delay Vol. 1)“ konkret. Er interessiert sich ausschließlich für die Nebengeräusche, die beim Spielen von Blasinstrumenten entstehen, dem Buzzing, das von Durand auch Schnarren genannt wird. Dieses Schnarren wird von Durand auf eine klangliche Endlosreise geschickt werden. Mäandernde, repetitive Strukturen entstehen, die eine durchaus psychedelische Wirkung entfalten.

Die beiden anderen X-Tract-CDs aus der ersten Veröffentlichungsoffensive des Labels, „Sampling Rage“ und „Vestige Vertical“, dokumentieren nochmals lose zwei vergangenen Veranstaltungsreihen im Podewil. In „Sampling Rage“ ging es darum, die Möglichkeiten des Samplers auszuloten, mit ihm zu improvisieren und sich gegenseitig Material zur Weiterverarbeitung zuzuschicken. Repräsentiert wird diese Reihe durch eine Art Allstar-Band des experimentellen Klangwesens, durch Klangforschungskoryphäen wie Terre Thaemlitz und Christophe Charles. Das Projekt Vestige Vertical, das sich aus der Podewil-Konzeption zu „Stagnation und Stimulanz“ entwickelte, fasst dagegen vielleicht am besten die programmatische Ausrichtung von X-Tract insgesamt zusammen. Elektronische, akustische und elektroakustische Musik bekommt hier ihren freien Raum, tastet sich gegenseitig ab und erprobt die Möglichkeiten zum produktiven Austausch.

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