: Rainer Ortleb verlässt die FDP – mal wieder
Die taz dokumentiert den Beitrag zum letzten Parteiaustritt (und Wiedereintritt) des Exbildungsministers 1997
BERLIN 20. Juni 1997 ■ Rainer Ortleb bleibt FDP-Chef in Sachsen. Schon nach diesem Satz könnte man eingeschlafen sein. Zum einen war Ortleb auch gestern FDP-Chef, und er wird es morgen noch sein. Zum anderen ist die Kombination FDP und Sachsen so etwas wie der dialektische Hauptwiderspruch unserer Epoche.
Die Liberalen dort erzielten bei der Landtagswahl 1994 1,7 Prozent, und es gelang ihnen seitdem sogar noch das Kunststück, die Partei so tief in den Keller zu fahren, daß man sie mit herkömmlichen Meinungsumfragen gar nicht mehr erfassen kann. Derzeit liegt sie bei 0,irgendwas. Man sollte gar nicht glauben, daß man sich so weit unten noch richtig über die Zukunft der Partei streiten kann. Die sächsischen Liberalen können das. Und das war dann gar nicht zum Einschlafen. Am Wochenende gab es einen Krach Ortlebs mit der Jugendorganisation Julia über seinen Führungsstil, der offensichtlich gar keiner war. Trotzdem war Ortleb schwer beleidigt.
Am Montag erklärte er per Fax seinen Parteiaustritt. Die Partei war geschockt. FDP-Chef Gerhardt und Westerwelle griffen sofort zum Telefon; schließlich ist Ortleb auch noch FDP-Abgeordneter in Bonn. Auf ihren Befehl hin wurde eine Delegation mit Blumenstrauß zu Ortleb nach Hause geschickt. Ergebnis: Ortleb wolle bleiben, wenn ihm der Landesvorstand sein Vertrauen ausspricht. Das tat dieser dann am Mittwoch auch sofort.
Ortleb war erst im März zum FDP-Vorsitzenden in Sachsen gewählt worden. Ein ehemaliger Minister ins liberale Tal der Hoffnungslosigkeit – da herrschte Euphorie. Warum ausgerechnet Ortleb zum Hoffnungsträger wurde, kann außerhalb der Partei wahrscheinlich keiner erklären. Der 53jährige ist nicht gerade das, was man einen Profi nennt. Bis 1989 hat er an der Uni in Rostock als Informatikprofessor gearbeitet. Nach der Wende wurde er in die Politik gespült und machte im Westen schnell Karriere: 1990 stellvertretender FDP-Chef und Minister ohne Geschäftsbereich in Bonn, von 1991 bis 1994 unter Helmut Kohl sogar Bildungsminister.
Ortleb ist ein kluger Kopf, aber für Bonn war er viel zu scheu und zu unsicher. [. . .] Er symbolisiert seitdem so etwas wie die Niederlage des Ostens in Bonn. So einer schafft es auch, die FDP in Sachsen ganz verschwinden zu lassen. JENS KÖNIG
98 kehrte Ortleb nicht wieder in den Bundestag zurück. Pläne für einen erneuten Parteieintritt wurden gestern nicht bekannt.
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