: Spannung durch die Elf
Während die Tischtennis-Basis noch grummelt, haben sich die Spitzenspieler vor der morgen beginnenden Bundesliga-Saison mit der neuen Zählweise abgefunden und sogar angefreundet
von HARTMUT METZ
„Ob wir bis 6, 11, 15 oder 21 spielen – Tischtennis wird in Deutschland sowieso nicht im Fernsehen gezeigt“, klingt Jörg Roßkopf reichlich desillusioniert. „Lediglich ein paar Zuschauer und die Spieler müssen sich umstellen“, befindet der ehemalige Europameister und Doppel-Weltmeister. Anstatt bei 21 endet in der Bundesliga jeder Satz künftig mit 11 Punkten, sofern einer der beiden Pingpong-Artisten zwei Zähler Vorsprung aufweist. Dafür geht jedes Spiel über drei anstatt zwei Gewinnsätze. Der Tischtennis-Weltverband ITTF erhofft sich dadurch mehr Spannung und größere TV-Präsenz.
Im Vorjahr mussten sich die Asse an den langsameren 40-Millimeter-Ball gewöhnen. Das glichen die Topleute durch schnellere Hölzer und Beläge aus. Den zweiten Bruch der hundert Jahre alten Traditionen können die Spieler von der Kreisklasse bis hoch zur Bundesliga hingegen nicht so leicht von der Platte fegen. Deswegen gab es noch mehr Aufruhr an der Basis als bei Einführung des im Durchmesser zwei Millimeter größeren Zelluloidballes. Aufhören, einen Gegenverband gründen, oder der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB) solle den Humbug der ITTF in den unteren Klassen ignorieren, lauteten die drei Alternativen der Kritiker. „Die Basis steht der Elf eher skeptisch gegenüber“, räumt Manfred Schillings ein, auch wenn der DTTB-Pressesprecher die „rund 85 geharnischten E-Mails, die wir erhielten“, nicht für repräsentativ gegenüber den 15 eingegangenen Lobeshymnen hält.
Die Welle der Empörung dürfte wie beim Volleyball, als die Sätze von 15 auf 25 Punkte umgestellt wurden, rasch abebben. „In drei, vier Monaten redet kein Mensch mehr darüber“, glaubt Offenburgs Trainer Pavel Levine, dessen Team am Freitagabend beim TTC Jülich den Bundesliga-Auftakt bestreitet. Nach einem Monat Training, berichtet der Russe, seien seinen Akteuren die neuen Regeln in Fleisch und Blut übergegangen. Keiner will mehr fünf Aufschläge in Serie machen, sondern begnügt sich mit deren zwei. Im Testspiel gegen den spanischen Meister Grenada versäumten die Profis lediglich im entscheidenden Satz den Seitenwechsel nach fünf Punkten; früher erfolgte dieser bei zehn.
Nationalspieler Peter Franz fand beim Super Circuit in Japan, der mit 1,8 Millionen Mark dotiert ist und über 100 Einzelspiele geht, Gefallen an der Zähl-Revolution. „Die Begegnungen sind spannender und machen mehr Spaß“, berichtet der Frickenhausener, der derzeit mit 8:2 Siegen seine Gruppe in Osaka vor den Exweltmeistern Jörgen Persson (Schweden) und Jean-Philippe Gatien (Frankreich) anführt. Roßkopf und sein Kronprinz Timo Boll hauen nach ihren Trainingseindrücken beim TTV Gönnern in dieselbe Kerbe. „Es gibt mehr Überraschungen, man muss gegen jeden aufpassen“, erklärt der Weltranglistenvierzehnte. Sein vier Plätze tiefer notierter Mannschaftskamerad Boll stellt fest: „Dank der knappen Ergebnisse ist es immer sehr spannend, und man kann auch einmal einen Satz verlieren.“
An der Hierarchie freilich ändern die kurzen Sätze wenig. „Die Weltrangliste wird durch die neue Zählweise nicht durcheinander gewirbelt“, meint der 20-Jährige. Auch in der Bundesliga bleibt alles beim Alten. Aus dem Kreis der laut Boll „vier sehr starken Mannschaften Grenzau, Gönnern, Ochsenhausen und Frickenhausen“ deutet Routinier Roßkopf „zwei große Favoriten“ heraus. „Mich würde es überraschen, wenn Meister Grenzau und Ochsenhausen, das sich mit dem Franzosen Christophe Legout enorm verstärkte, nicht das Endspiel erreichen.“ Die unbekümmerte Leichtigkeit der Jugend verführt indes Gönnerns Nummer zwei zu einer optimistischeren Prognose: „Wir sind gut. In den wieder eingeführten Play-offs ist alles möglich“, prophezeit Boll.
Hans-Reinhard Scheu, bei der ARD selten eingesetzter Tischtennisexperte, hält die „Kastrierung“ auf 11 Punkte für „zu drastisch. Sätze bis 15 oder 16 Punkte wären richtig gewesen.“ Boll nimmt’s gelassen. „An Formel 1 und Fußball kommen wir sowieso nicht vorbei. Unser Ziel muss es sein, sich mit dem jetzt interessanteren Tischtennis dahinter zu etablieren.“ Letztlich nützten aber alle Regeländerungen nichts, das einzige probate Mittel zur Popularisierung laute „Erfolg: Das sieht man bei den Skispringern“, bemerkt Boll, ehe Roßkopf ergänzt, „wir brauchen große Titel“ – und richtet dabei den Blick auf den frisch gebackenen Gewinner der Brazilian Open, der neben ihm an der Platte steht.
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