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Geständige Supermarktbande

Sie sind mit dem Auto durch eine Glastür gekracht und Zigaretten holen gegangen. Einer von ihnen bezahlte einen der Überfälle mit dem Leben. Gestern begann vor dem Landgericht der Prozess gegen eine jugendliche Räuberclique

Über den Tod von Mike L. empfand er nur Schmerzen. Nach seiner Vernehmung blickte Alexander W. weinend zur Decke

„Sie wollten nur ein angenehmes Leben haben“, erklärt der Anwalt von Alexander W. die Motivation der Friedrichshainer Clique, regelmäßig Supermärkte und Tankstellen zu überfallen. Keiner der jungen Leute hatte damit gerechnet, dass sie den Versuch, die eigenen Tage ein wenig besser und aufregender zu gestalten, als sie von alleine verlaufen, bald mit dem Tod ihres Freundes Mike L. bezahlen müssten.

Am Abend des 29. Januars dieses Jahres erschoss ein Polizeibeamter eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) den 23-Jährigen im Eingangsbereich der „Extra“-Kaufhalle am Anton-Saefkow-Platz in Lichtenberg. Mit Gasschreckschusspistolen bewaffnet, hatten Mike L., sein Cousin sowie ihr bester Freund die Herausgabe der Tageseinnahmen des Supermarkts und der Backwarentheke gefordert. Beim Betreten der Kaufhalle ahnten sie indes nicht, dass die Polizei schon längere Zeit das Telefon von Mike L. überwachen ließ – dass ihr Kommen also bereits von den SEK-Beamten erwartet wurde.

Gestern begann nun vor dem Landgericht der Prozess gegen die Clique. Der Schrecken des Ereignisses trifft die fünf Angeklagten nach wie vor schwer. Bis auf einen zeigten sich alle reuig und auch geständig, nicht nur was die Vorgänge jenes schicksalhaften Montags betraf, sondern auch bezüglich der vorangegangenen sechs Raubüberfälle. In sechs Monaten soll die Gruppe in unterschiedlicher Besetzung zirka 16.000 Mark erbeutet haben.

Es war jedoch wohl nicht nur das Verlangen nach Geld, was die Jugendlichen zu ihren kriminellen Handlungen trieb, sondern auch der Drang, dauernder Langeweile zu entfliehen. Um Zigaretten zu beschaffen, waren sie eines Abends mit einem Opel Kadett spontan durch die gläserne Eingangstür eines Supermarktes gebrochen. Später verkauften sie die Zigaretten in der Kneipe. Alles war wunderbar einfach.

Meistens starteten die Freunde ihre Überfalltouren von der Wohnung des 21-jährigen Alexander W. Dieser hatte gemeinsam mit Mike L. im Juli vergangenen Jahres den ersten Raubzug der Clique unternommen. Die beiden hatten schwarze Sturmmasken übergezogen und sich mit Schreckschusspistolen ausgerüstet. In der Kasse des Penny-Marktes lagen 4.500 Mark. Das Geld wurde später untereinander aufgeteilt. „Wir waren Essen und Einkaufen“, erzählte Alexander W.

Nach Einschätzung seines Anwalts müssen er und der 27-jährige Sven S. mit langjährigen Freiheitsstrafen rechnen. Die anderen Angeklagten dürften mit milden Jugendstrafen davonkommen. Auf die Frage, was er beim Tod von Mike L. empfunden habe, sagte Alexander W. gestern nur: „Schmerzen.“ Nach seiner Vernehmung behielt er weinend den Blick zur Decke gerichtet.

Alle Angeklagten entstammen wohlbehüteten Elternhäusern. Auf der Zuschauerbank des Gerichtssaals verfolgte einer der Väter die Verhandlung. Nervosität zeigte sich im leichten Zittern seiner Hände. Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt.

Auch gegen den Schützen wird inzwischen wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Nächsten Monat wird nach Auskunft eines Verteidigers entschieden, ob Anklage gegen den Polizisten erhoben wird. Der SEK-Beamte soll geschossen haben, als Mike L. mit vorgehaltener Waffe in Richtung seines Kollegen rannte.

KIRSTEN KÜPPERS

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