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: HELMUT HÖGE über den Strom-Mix

In der allgemeinen Verbummfiedelung

Langsam wird es ärgerlich, dass man noch immer auf der DDR, dem Mauerbau und dem SED-Regime – bis hin zur PDS – rumhackt. Dabei dürfte doch mittlerweile klar sein, dass die DDR nicht an zu viel Unfreiheit, sondern an zu viel Freiheit – im Produktionsbereich nämlich – zugrunde gegangen ist. Während es im Osten keine Werbung gab, außer Annoncen von Betrieben, die Arbeitskräfte suchten, ist es im Westen genau umgekehrt: Je mehr Leute keine Arbeit finden, desto heftiger wird die Werbung.

Im Westen herrscht statt der Produktions- die Konsumptionsfreiheit. Das geht so weit, dass wir uns inzwischen über jede neue Dienstleistung, wie Späteinkauf, BVG-Monatskarten im individuellen Monatsrhythmus, neue Bäderöffnungszeiten, standesamtliche Trauungen an FKK-Stränden usw. freuen. Obwohl dieser ganze Scheiß uns allererst als Arbeitnehmer beutelt und dann vielleicht als Konsumenten berömmelt. Das geht hin bis zur Demokratie, in der man alle paar Jahre sonntags die Auswahl zwischen mehreren Parteien hat.

In der halbherzigen Produktionsdemokratie DDR war auch das in den Betrieben angesiedelt – da gehört es eigentlich auch hin. Bei Osram neigen die ehemals bei Narva Tätigen noch immer dazu, durchzudrehen – weil z. B. der Nachschub (mit Halbfertigwaren) nie aufhört, weil man dort nicht miteinander redet, weil es zum Treffen nur einen Imbissstand an der U-Bahn-Haltestelle gab, den die Geschäftsleitung dann auch noch von dort vertrieb, usw.

Umgekehrt waren bei Narva in vielen Abteilungen oft mehr Leute beschäftigt, als Arbeit da war. Die reaktionäre Treuhandchefin Birgit Breuel erfand für diese Brigade-Gemütlichkeit nach der Wende sofort die übelmeinende Formel von der „versteckten Arbeitslosigkeit“. In der FAZ meinte der Nationalhistoriker Michael Stürmer: „Die SED hat ihre eigene Bevölkerung vergast – unglaublich.“ Er meinte damit Bitterfeld.

Auch dieser ganze Öko-Quatsch ist inzwischen in den reinen Konsumismus abgerutscht: Es geht dabei nicht mehr um neue soziale Formen der Produktion, der Kollektivwirtschaft, geschweige denn um eine Nicht-mehr-Waren-Herstellung, wie es halb einmal in dem US-Bestseller „Ökotopia“ mit der Solarzellen-Produktion als „public domain“ durchdacht worden war. Im Anschluss an die in Wäldern und Bergwerken versteckten Nazi-„Black Boxes“ der Sklavenarbeit tendierte man im Westen sowieso dazu, statt wieder stolze Industriekathedralen zu errichten nur noch in Betonkästen auf Gewerbeparks produzieren zu lassen.

Nun verschwinden die Produktionsstätten vollends hinter dem globalisierten Horizont (bis hin nach Nordchina oder Mexiko). Und der Konsumismus – die „schwerelose Ökonomie“ nennt Griffin sie – kann sich hier inzwischen sogar die wieder angesiedelten Fischadler, klaren Seen und Langgraswiesen zugute halten – besonders all die entgifteten Landschaftsstriche im Osten.

Aber auch dieser Scheiß hat einen Preis: der Konsum wird einem hier immer mehr zur Arbeit. So wechselt z. B. eine Freundin von mir alle paar Monate ihre Telefongesellschaft, weil sie für ihre jeweilige Lebensabschnittsplanung wieder mal günstigere Tarife herausgefunden hat. Die Bewag wollte uns neulich weismachen, dass sie verschiedene Arten von Strom im Angebot hat, wobei der beste – der Ökostrom – natürlich am teuersten sei. Ich fühlte mich schwer verarscht, musste mir dann aber sagen lassen, dass man inzwischen von den E-Werken sogar verlangt, dass sie Auskunft über die Zusammensetzung ihres „Strom-Mix“ geben. Auch dass ich vier Tage brauchte, um eine Umleitung der Telefongespräche zu einem Faxgerät auf dem taz-Apparat per Tastendruck wieder auszuschalten, halte ich für eine der vielen Konsummetastasen, die uns seit der Eliminierung jedweglicher Produktionsfreiheit mit der Wende das Leben verbummfiedeln.