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„Tausende Briefe, Fragen, Bitten“

Wie will Roza Thun (47) leben? Die Leiterin der Robert-Schuman-Stiftung in Polen engagiert sich für den Beitritt ihres Landes zur EU. Sie will, dass ihre vier Kinder als „freie Europäer“ aufwachsen. Polen ist für sie noch längst kein idealer Staat – doch Roza Thun blickt sehr optimistisch in die Zukunft

Interview GABRIELE LESSER

taz: Was sagen die Leute, wenn Sie sich mit „Roza Gräfin von Thun und Hohenstein“ vorstellen?

Roza Thun: Nichts. Ich stelle mich nie mit meinem offiziellen Namen vor. Die Leute denken sonst, das sei eine Firma und dass ich mit Blumen handle, da mein Vorname Roza (Rose) ist. Ich heiße hier einfach Roza Thun.

Wirkt sich der Name auch auf die Arbeit in der polnischen Robert-Schuman-Stiftung aus?

Inzwischen nicht mehr. Aber am Anfang gab es große Schwierigkeiten. Zunächst wussten viele Polen nicht, dass Robert Schuman der Vater der Europäischen Union ist und ein französischer Politiker war. Alle dachten an den deutschen Komponisten. Dann noch mein Name „Thun“. Das alles klang nicht nach Europa, sondern nach Deutschland.

Wann hat sich alles aufgeklärt?

Durch unsere Europa-Treffen. Wir, also die polnischen „Schumäner“, haben uns zum Ziel gesetzt, die Idee der Europäischen Union in Polen populär zu machen. Und eine unserer besten Ideen war wohl dieses Europa-Treffen, das sich inzwischen zu einer Europa-Parade entwickelt hat, die einmal im Jahr tausende EU-Fans aus ganz Polen nach Warschau zieht. Die Stadt verwandelt sich für einen Tag in einen europäischen, sehr bunten und vergnügten Jahrmarkt. Es gibt Spezialitäten aus ganz Europa, viel Musik natürlich, zig Infostände, wo man sich mit Material zu allen europäischen Fragen eindecken kann. Es kommen auch viele Politiker, die man zu allem fragen kann, was einem europamäßig auf dem Herzen liegt.

Was begeistert Sie so an der EU?

Ich bin schon ganz europäisch aufgewachsen, obwohl ich Mitte der 50er-Jahre geboren bin und also den Sozialismus in Polen noch in vollen Zügen „genießen“ konnte. Meine Eltern, vertrieben aus dem Osten und bitter arm, haben uns Kinder früh ermutigt, ins westliche Ausland zu fahren, dort Kinder zu hüten, bei der Weinernte zu helfen – und so auch die Sprachen zu lernen. Ich war in England, in Frankreich, später auch in Österreich und in Deutschland.

Und Sie kamen ohne Probleme aus Polen raus und wieder rein?

In den Sechziger- und Siebzigerjahren war das kein Problem. Dann allerdings, als ich begann, mich in der Opposition zu engagieren, wurde es schwieriger. Oft kam ich nicht mal von Krakau nach Warschau, weil ich vorher aus dem Zug geholt wurde. Im Winter 1981, nach meiner Heirat in Zakopane bei Krakau, war ich gerade bei meinem Mann in Frankfurt am Main, als in Polen der Kriegszustand ausbrach. An eine Rückkehr war nicht zu denken. Sieben Jahre blieben wir in Frankfurt. Dort sind unsere ersten drei Kinder zur Welt gekommen. Für mich war das eine schwere Zeit. Ich konnte nur schwer anrufen in Polen, die Briefe wurden zensiert, ich wusste nicht, ob jemand von der Familie vielleicht im Gefängnis saß, so wie die meisten Freunde von mir. Es war schwer.

1988 sind Sie dann aber doch zurück nach Polen gegangen?

Nein, erst nach Nepal. Mein Mann war damals Entwicklungsexperte bei der GTZ in Eschborn. In Nepal waren wir zwei Jahre lang, und das war nach der Oppositionszeit in Krakau die nächste umwälzende Erfahrung in meinem Leben. In Krakau habe ich noch im Sozialismus das Gefühl der persönlichen Freiheit kennen gelernt, und in Nepal ging mir dann die Bedeutung der Religion für den Menschen auf. Ich selbst bin sehr religiös, auch meine Familie, mein Mann. Aber in Nepal lebten die Menschen vollkommen in ihrer Religion. Und dann habe ich dort natürlich die Opposition unterstützt. In Nepal waren das die Linken.

Sie haben in Polen die Kommunisten bekämpft und sie in Nepal unterstützt?

Ja, in Polen waren die Kommunisten an der Macht und haben uns unterdrückt, und in Nepal regierte ein diktatorischer König, der die Opposition verfolgen ließ. Nach einer blutigen Revolution änderte sich aber auch in Nepal die politische Situation, und unsere Freunde kamen an die Macht.

Das war 1990. Da regierte in Polen bereits Tadeusz Mazowiecki als erster nichtkommunistischer Ministerpräsident.

Ich hatte mich so gefreut, jetzt endlich nach Polen zurückkehren zu können, und dann musste ich feststellen, dass dieses Polen ein ganz anderes geworden war. Wir wohnten ja auch in Warschau, nicht in Krakau. Mein Mann sollte in Polen kleinen und mittleren Unternehmen bei den Startschwierigkeiten in einer Marktwirtschaft helfen. In Warschau kam dann unsere jüngste Tochter auf die Welt. Ich musste in Warschau völlig von vorne anfangen, hatte vier kleine Kinder, die nie zuvor in Polen gelebt hatten. Ich wollte, dass sie sich hier zu Hause fühlen würden. Auch für meinen Mann sollte Polen zu einem Zuhause werden.

Und wie sind Sie selbst wieder heimisch geworden?

Ich bin Mitglied der Demokratischen Union geworden. Wenn man so lange in einer Diktatur gelebt hat, muss und will man sich politisch engagieren, um die Zukunft so zu gestalten, wie man sie sich immer erträumt hat. Aber erst musste ich mich in der neuen Realität zurechtfinden. Mir fehlten ja die letzten zehn Jahre politisches Leben in Polen, die Verhandlungen der Solidarność mit den Kommunisten am runden Tisch, der letzte Parteitag der Vereinigten Arbeiterpartei. Ich habe mir Videos besorgt und mir das alles angesehen.

Wie kamen Sie dann zur Robert-Schuman-Stiftung?

Gründer der Stiftung war Tadeusz Mazowiecki, den ich von Kindesbeinen an kenne, da er oft bei uns zu Hause war, mein Vater Jacek Wozniakowski ja auch in denselben Zeitungen publizierte wie Mazowiecki, also im Tygodnik Powszechny, in Znak und Wiez. Er und Piotr Konopka, der damals die Stiftung leitete, baten mich, in der Stiftung mitzuarbeiten. Erst war ich mir nicht sicher, ob ich mein Leben so organisieren könnte, dass ich vier kleine Kinder in zwei Kulturen gleichzeitig erziehen und noch die Arbeit in so einer Stiftung meistern könnte.

Aber war denn 1990 oder 1991 schon die Rede vom Beitritt Polens zu Europäischen Union?

Eben nicht. Das war unser Traum. Und wir wollten, dass ganz Polen diesen Traum träumte und er dann auch irgendwann wahr würde. So habe ich tatsächlich in der Stiftung angefangen zu arbeiten, erst einen Tag in der Woche, und jetzt bin ich hier die Chefin und tue alles, um die Idee „Polen in der EU“ populär zu machen. Tadeusz Mazowiecki leitet im Parlament den Ausschuss für die Integration in die EU, Piotr Konopka ist Rektor der Hochschule für Europäische Studien in Natolin bei Warschau.

Wie kommt die Stiftung bei den Polen an?

Sehr gut! So hervorragend, dass wir kaum noch mit der Post nachkommen. Es sind tausende von Briefen, die hier jede Woche mit Fragen und Bitten um Hilfe oder Unterstützung eingehen. Vor acht Jahren kamen zu einer Konferenz rund 100 Leute nach Warschau, die sich meist in NGOs für die Integration Polens in die EU einsetzten. Jetzt sind wir so viele, dass es keinen Konferenzsaal mehr gibt, in dem wir alle uns treffen könnten.

Wie finanziert sich die Stiftung?

Anders als in Deutschland üblich haben wir kein Stiftungskapital und müssen zusehen, wie wir unsere jeweiligen Projekte finanzieren. Fundraising gehört zu meinen schwierigsten Aufgaben in der Stiftung. Eines unserer neuesten Programme wendet sich an die jungen Bauern, die noch die Schulbank in den Landwirtschaftsschulen drücken. Es heißt: „Wie reformiere ich den Bauernhof meines Vaters, um ihn EU-tauglich zu machen?“ Da ist auch viel Ökologie drin. Für solche Programme bekommen wir Gelder von anderen Stiftungen, von Unternehmen oder aus Brüssel direkt.

Was wünschen Sie sich für ihre Kinder in Polen?

Ich möchte, dass sie als freie Europäer aufwachsen und dass sie wissen, dass es in ihrer Hand ist, in was für einer Welt sie leben. Noch entspricht Polen nicht meiner Idealvorstellung eines Staates, in dem ich leben möchte. Aber ich bin optimistisch, wenn ich mir ansehe, was sich in den letzten zehn Jahren schon geändert hat. Sehr optimistisch sogar.

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