: Im Vorprogramm
Wenn Dichter den Drachen der Globalisierung besingen: gemischte Eindrücke vom Költészeti Fesztivál in Budapest
Es begann mit einer Fahrt auf der Donau. Man hatte uns gesagt, dies sei der vornehmste Weg auf die so genannte Pepsi-Insel. Vor acht Jahren hat Pepsi die Donauinsel mitten in Budapest gekauft, um dort jedes Jahr im Sommer ein riesiges Rockfestival veranstalten zu lassen. Das Sziget-Festival ist das Roskilde Südosteuropas. Über 300.000 Besucher halten sich dann eine ganze Woche lang auf der Insel auf. Wir kamen am letzten Tag von Sziget, aber für uns war es der erste Tag unseres eigenen Festivals. Als Dichter waren wir auf die Insel gekommen, um im „Zelt der Freien Schule“ unsere Texte vorzulesen.
Ich hatte gehofft, man würde uns schon bei der Landung Backstagepässe umhängen und in die VIP-Area führen. Dort wollte ich dann mit Ash und Placebo, die ebenfalls am Abend auftreten sollten, Bier trinken und Erfahrungen austauschen. Stattdessen kontrollierte man umständlich unsere Rucksäcke und ließ uns stundenlang allein über die Insel irren, bis wir unser Zelt gefunden hatten.
Die Horden von Festivalbesuchern, die überall auf den Wegen und zwischen den Zelten herumlungerten, waren da auch keine große Hilfe. Selbst nach einer Woche auf der Insel kannten sie sich offenbar noch nicht aus. Sie sahen allerdings auch so aus, als würden sie schon seit längerem eigentlich nur noch apathisch auf das Ende der Strapazen warten. Wenige, die sich noch zu den Containerduschen schleppten oder im Programmheft lasen.
Trotzdem gingen die meisten von ihnen am Abend dann wohl doch zur Hauptbühne und sahen Ash, statt sich in unser ziemlich abseits gelegenes Zelt zu verirren. Aber das erste Költészeti Fesztivál (Dichterfest) Budapest wurde auch ohne den Beifall von hunderttausenden ermüdeten T-Shirt-Trägern eröffnet. Und ich nahm mir vor, zu Hause allen zu erzählen, ich sei in Ungarn im Vorprogramm von Placebo aufgetreten.
Der zweite Höhepunkt des Festivals war die Abschlussveranstaltung drei Tage später. Das Budapester Goethe-Institut liegt auf einer der großen prächtigen Straßen in der Innenstadt, neben einem exzellenten China-Imbiss, von denen es in hier glücklicherweise eine ganze Anzahl gibt. Das Institut hat nicht nur ein Café, wo man bei teurem bayerischem Bier in den zwei (!) deutschsprachigen Budapester Zeitungen lesen kann. Sondern auch einen echten Konferenzsaal, der mit allen technischen Raffinessen ausgestattet ist. Da alle unsere Lesungen zwei- bis dreisprachig waren, gab es für die Zuhörer (und uns) Kopfhörer, um die simultan gelesenen Übersetzungen verfolgen zu können.
Nur bei einer Veranstaltung wirkte das nicht unangenehm aufgesetzt. Das war die spektakuläre „Gedichtekonferenz über die Globalisierung“, eine politisch-poetische Debatte in Versform. (Nachzulesen unter www.xing4u.mynetcologne.de.) Stilecht nahmen zwölf (männliche) Dichter aus vier Ländern an einem viereckigen Tischensemble Platz, und wir alle griffen zu den Kopfhörern und Notizblöcken. Ein ungarischer Poet fürchtete sich vor dem „nicht mal mehr Feuer speienden globalen Drachen“, der „den Mythos der zarten Details“ zu verschlingen drohe. Andere dichteten uns vor, weshalb sie die Globalisierung liebten, bejahten und sich über sie freuten. Besonders überzeugend war der Delegierte aus den USA, der sich selbst als „global village idiot“ bezeichnete.
Die überzähligen Globalisierungsgegner blieben letztlich aber leider genauso beherrscht wie ihre Kontrahenten. Die Dichter schoben sich höflich gegenseitig die Mikrofone zu, und ich hörte mir irgendwann nur noch die ungarische Simultanübersetzung an.
Zur Aftershowparty gingen wir in eine Disco in der Innenstadt, wo Abba lief. Nach vielen Flaschen leckerem ungarischem Rotwein überlegten wir, wie der DJ zu einem dreisprachigen Set zu überreden sei. Ich wusste nicht mehr, ob eher Placebo oder Abba Globalisierung ist.
STEFANIE RICHTER
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