: Dreizehn Kugeln für Korsikas „Leguan“
Der korsische Nationalistenführer François Santoni ist ermordet worden. Er hatte die eigenen Mitkämpfer kritisiert
PARIS taz ■ François Santoni war ein Toter auf Urlaub. Darüber machte sich der 41-jährige korsische Nationalistenchef, dessen Kaltblütigkeit ihm den Spitznamen „Leguan“ eingetragen hatte, keine Illusionen. „Es wird ein gefährlicher Sommer“, hatte er Freunden gesagt, als er im Juli Paris in Richtung Korsika verließ. In der Nacht zu gestern wurde er am Ende einer Hochzeitsfeier im südkorsischen Monaccia d’Aullène mit 13 Kugeln aus Schnellfeuerwaffen, darunter zwei in den Kopf, ermordet. Es war der erste Jahrestag des Begräbnisses seines ebenfalls ermordeten engsten politischen Freundes Jean-Michel Rossi.
In den 90er-Jahren war Santoni die zentrale Figur der radikalen korsischen Nationalisten. Er war Generalsekretär der legalen Unabhängigkeitsorganisation „A Cuncolta“ und einer der Chefs ihrer Terrororganisation FLNC-Canal historique, die das Geschehen auf der Insel aus dem Untergrund heraus bestimmte. In seine Zeit fiel auch die Welle von Morden zwischen verfeindeten Fraktionen des nationalistischen Lagers, bei der 1995–96 mindestens 20 Menschen umkamen. Darunter waren mehrere linke Kritiker, die es gewagt hatten, die Rechtswende, die mafiosen Entgleisungen und den Drogenhandel der eigenen Organisation zu kritisieren.
1996 wurde Santoni verhaftet. Anlass war ein Delikt, das angesichts seines Vorlebens eher harmlos anmutet: räuberische Erpressung gegen einen Golfklubbesitzer. Er verschwand für zwei Jahre im Gefängnis. Auf Korsika übernahmen andere Männer die Macht in der Cuncolta. Sie gingen auch neue Verhandlungen mit der 1997 gewählten rot-rosa-grünen französischen Regierung ein und verfügten einen neuen „Waffenstillstand“. In diesem Frühsommer brachte dieser „Matignon-Prozess“ ein Gesetz zustande, das eine langsame Übergabe von Pariser Kompetenzen an das Inselparlament und eine Intensivierung des Korsischunterrichtes an den Schulen der Insel vorsieht. Im Mai wurde es in erster Lesung vom französischen Parlament verabschiedet.
Während die Nachfolger mit „Paris“ verhandelten, bereitete Santoni im Gefängnis sein Comeback vor. Es wurde eine öffentlichte Abrechnung mit der eigenen Szene. Zusammen mit seinem langjährigen Gefährten Rossi beschrieb er in einem Buch Details der „ethnizistischen und zutiefst konservativen Vision“ der Cuncolta unter ihrer neuen Führung und warnte vor dem Erstarken des organisierten Verbrechens. Die Kritisierten erteilten den Buchautoren umgehend „Einreiseverbot“ auf die Insel. Nur wenige Buchhändler auf Korsika trauten sich, das Werk anzubieten.
Wenige Wochen nach dem Erscheinen von „Pour solde de tout compte“ (Abrechnung) wurde Rossi auf Korsika ermordet. Monate vor seinem Tod war auf der Insel eine neue bewaffnete Organisation gegründet worden. „Armata Corsa“, kritisierte die Cuncolta mit ähnlichen Argumenten wie die beiden Buchautoren. In der Nationalistenszene der Insel stand schnell fest, dass es sich bei der Dissidentengruppe, die 40 bis 50 bewaffnete Militante hat und bis heute rund 20 Attentate, darunter auch Morde, organisiert hat, um eine von Santoni und Rossi ferngesteuerte Organisation handele. „Es ist der bewaffnete Arm für Santonis Geschäftsinteressen auf Südkorsika“, sagen Einzelne. „Das ist die Rache für den Ausschluss ganzer Nationalistenfraktionen aus dem Matignon-Prozess“, meinen andere.
Santoni erklärt seit einem Jahr in Interviews und in einem neuen Buch, der Drahtzieher des Mordes an Rossi sei eine Spitzenfigur der Cuncolta. Der inhaftierte Pieri soll den Auftrag via Handy aus seiner Gefängniszelle heraus erteilt haben. Im Februar dieses Jahres stellte die Untergrundorganisation „Armata Corsa“ der französischen Justiz ein Ultimatum: Entweder die Rossi-Mörder werden zur Verantwortung gezogen, oder wir legen Bomben in Paris und Straßburg. Doch in dieser Angelegenheit, wie auch in anderen korsischen Mordsachen, kommen die Ermittlungen nicht voran. Selbst der Mann, der 1998 den Inselpräfekten Claude Erignac ermordet haben soll, läuft immer noch frei auf der Insel herum.
Das neue Verbrechen wurde in Paris politisch vereinnahmt. Für die einen zeigt der Mord an Santoni, wie notwendig der Matignon-Prozess der rot-rosa-grünen Regierung ist. Für die anderen beweist er, dass auch dieser neue „Friedensprozess“ eine Illusion ist. DOROTHEA HAHN
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