: Fehlende Transparenz
Nach den ersten Stasi-Überprüfungen hat der MDR nur einen von vier prominenten Mitarbeitern entlassen. Ehemalige DDR-Oppositionelle finden die Urteile des Intendanten zu milde
aus Leipzig RALF GEISSLER
Das Ergebnis war eindeutig. „Nicht zumutbar“ fand der Personalausschuss des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) die Weiterbeschäftigung von Sabine Hingst. Die Leiterin des MDR-Hauptstadtstudios wurde seit 1985 bei der DDR- Staatssicherheit als „Gesellschaftliche Mitarbeiterin“ Christine geführt. Sie sollte die Esperanto-Szene der DDR ausspionieren. Berichte von ihr finden sich keine in ihrer Stasi-Akte. Entweder sie hat tatsächlich nie welche geschrieben, oder die Stasi hat sie in den Wendewirren 1989 vernichtet.
MDR-Intendant Udo Reiter genügten diese Zweifel jedenfalls, um sich Anfang August über die Empfehlung seines Personalausschusses hinwegzusetzen. Hingst wird bleiben, bis ihr Vertrag 2002 ausläuft. Lediglich das ARD- Magazin „Fakt“ darf sie nicht mehr moderieren.
Vielleicht hat Reiter seine Entscheidung schon bereut. Vor einer Woche produzierte die Journalistin ausgerechnet einen Beitrag über den Mauerbau. „Politische Instinktlosigkeit“, warf das Bürgerkomitee Leipzig dem MDR daraufhin vor und dem Intendanten Beratungsresistenz. Reiter untersagte allen MDR-Mitarbeitern, die mit der Stasi in Kontakt kamen, Beiträge über die DDR zu produzieren oder zu sprechen – „um den Mitteldeutschen Rundfunk vor Schaden zu bewahren und um die Gefühle derer nicht zu verletzen, die unter den Repressalien des DDR-Regimes leiden mussten“.
Dennoch ist für DDR-Bürgerrechtler die Sache klar: Reiter ist mal wieder zu milde. Es ist bereits die zweite Stasi-Überprüfung, die im Sender läuft. Nach der ersten durften viele Spitzel bleiben. Die Gauck-Behörde sucht nun nach Akten von 3.000 Journalisten. Zu fast 1.700 liegen die Ergebnisse jetzt vor. Davon gingen 36 wegen Stasi-Belastung an den Personalausschuss. Vier Entscheidungen wurden öffentlich bekannt gegeben. TV-Moderator Frank Liehr wird nicht mehr für den MDR arbeiten. Unterhaltungschef Udo Foht und Literaturkritiker Michael Hametner behalten ihre Stelle ebenso wie Sabine Hingst.
So fragwürdig Reiters Entscheidung bei Hingst sein mag: Im Fall des Literaturkritikers Hametner waren sich Personalausschuss und Intendant einig. Über zweihundert Seiten ist seine Stasi-Akte dick. Hametner war achtzehn und Volontär beim Fernsehen, als ihn die Stasi warb. Unter dem Vorwand, man müsse seine Personalien ergänzen, lockte sie ihn im November 1968 zum Werbungsgespräch ins Polizeikreisamt Rostock. Zwei Offiziere mit falschen Namen erklärten dem verblüfften Nachwuchsjournalisten, westdeutsche Geheimdienste interessierten sich für ihn. Er solle lieber für die DDR- Staatssicherheit arbeiten. Interessant fand die Stasi an Hametner vor allem seinen Pass. Er war Österreicher, aber in der DDR aufgewachsen.
„Ich stehe zu meinem Fehler“, sagt Hametner. Seine Stimme klingt unsicher. „Aber man muss sich vorstellen, wie man da vor den Offizieren steht.“ Die Stasi wollte aus Hametner einen Topspion machen – eine Art Günter Guillaume für Österreich. Sein erster Einsatz: die österreichische Botschaft in Berlin. Doch trotz Bezahlung endete die Zusammenarbeit 1974 auf Hametners Wunsch. Er gab seinen österreichischen Pass ab und wurde für die Stasi uninteressant.
Über seine Arbeit für den Geheimdienst hat er geschwiegen. Zu lange. Das Verdrängen war vielleicht der eigentliche Fehler. In seiner Sendung „Lesecafé“ hatte Hametner ausführlich „Magdalena“ von Jürgen Fuchs besprochen – ein Buch über die Stasi-Zentrale. Einen Widerspruch zu seiner Biografie sah er nicht. Der Journalist arbeitete schließlich sogar mit dem Schriftsteller Erich Loest zusammen, der einst im Stasi-Gefängnis saß. Als Loest von Hametners Stasi-Vergangenheit erfuhr, brach er die Zusammenarbeit ab.
„Warum hätte ich meine Tätigkeit offen legen sollen“, fragt Hametner. Der Intendant kannte seine Geschichte – und fand ihn tragbar. Ein öffentliches Outing schien Hametner unnötig. Dass nun doch alles herauskam, hat ihn verunsichert. „Die letzten Monate waren eine Zeit des Nachdenkens. Ich habe die Schuld nicht bei anderen gesucht. Ich verstehe die Sichtweise der Opfer. Aber ich bin heute nicht mehr der, der ich 1975 war.“
Komplizierter ist der Fall bei Udo Foht. Er war schon beim DDR-Fernsehen für Unterhaltung zuständig. Er bestreitet, dort unter dem Decknamen Karsten Weiß Kollegen bespitzelt zu haben – obwohl Akten vorliegen. Angelegt hat sie Stasi-Offizier Dieter Affelt. Er stützt den MDR-Redakteur. Vor dem Landgericht München versicherte Affelt eidesstattlich, er habe Udo Foht ohne dessen Wissen als Stasi-Mitarbeiter in den Akten geführt. Nach Ansicht des Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen ist das aber extrem unwahrscheinlich. „Das geht hinten und vorne nicht auf“, sagt Michael Beleites.
Er und die Landesbeauftragten von Sachsen-Anhalt und Thüringen haben dem MDR ihre Beratung angeboten. Bisher ist der Sender auf dieses Angebot jedoch nicht eingegangen.
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