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Bauern haben keinen Kredit

Spätestens nach der zweiten Missernte gibt den Kleinbauern keine Bank mehr einen Vorschuss für die nächste Aussaat

aus Managua TONI KEPPELER

„Hunger kennen wir schon lange“, sagt Domingo Rivera, „da musste nicht erst die große Dürre kommen.“ Rivera wohnt in dem Weiler El Igueral in der pazifischen Küstenebene im Nordwesten Nicaraguas. Ende 1998, als der Wirbelsturm „Mitch“ über Zentralamerika zog, wurde das halbe Dorf von einem Erdrutsch verschüttet. Im Jahr davor hatte eine Trockenperiode eine Hungersnot ausgelöst, im Jahr danach genauso. In diesem Jahr ist es besonders schlimm. Die wenigen in El Igueral, die ein Stückchen Land besitzen und es mit Mais und roten Bohnen bebauen, haben wegen der Dürre ihre gesamte Ernte verloren.

„Früher ging es uns gut“, sagt Rivera. Da arbeitete fast das ganze Dorf auf den riesigen Baumwollplantagen, die von sandinistischen Kooperativen in der Tiefebene rund um die Stadt León betrieben wurden. 1990 war das vorbei. Die Sandinisten verloren die Wahl. Die Baumwollplantagen gingen wieder in private Hände über, die Produktion wurde eingestellt. Denn gleichzeitig drängten die Baumwollproduzenten der Länder der ehemaligen UdSSR auf den Weltmarkt. Der Preis stürzte, der Anbau in Nicaragua war nicht mehr rentabel.

„Seither sind die meisten von uns arbeitslos“, erklärt Domingo Rivera. Es gebe zwar ein paar Erdnussplantagen in der Gegend. Aber die würden maschinell betrieben. Auf dem Rest des Landes steht das Vieh der Großgrundbesitzer. Auch die brauchen nur wenige Arbeiter. Die Küstenebene im Hinterland der Städte León und Chinandega wurde zur Hungerzone Nicaraguas.

Die meisten der rund 1,5 Millionen Zentralamerikaner, die unter der derzeitigen Hungersnot leiden, könnten ähnliche Geschichten erzählen wie Rivera. In Honduras wurde bereits mehr als die Hälfte des Landes zum Notstandsgebiet erklärt. Fast eine Million Menschen darben. Die Regierungen setzen seit mehr als zehn Jahren auf die exportorientierte Agroindustrie. Die Produktion von Grundnahrungsmitteln wird vernachlässigt. In El Salvador wurden nach dem Bürgerkrieg 1992 zwar kleine Parzellen an ehemalige Soldaten und Guerilleros verteilt. Aber eine staatliche Förderpolitik für sie gab es nie.

Mais und Bohnen, die Grundnahrungsmittel Zentralamerikas, werden in der gesamten Region fast ausschließlich von Kleinbauern erzeugt, die über keinerlei Kapital verfügen. Spätestens nach der zweiten Missernte gibt ihnen keine Bank mehr einen Kredit für die nächste Aussaat. An die Finanzierung von Bewässerungsanlagen ist erst gar nicht zu denken. Jede Dürre hat so automatisch eine Hungersnot zur Folge.

Die Missernten häufen sich. Allein in den vergangenen zehn Jahren gab es auf der pazifischen Seite Zentralamerikas fünf Trockenperioden. Auf der karibischen Seite häufen sich im Gegenzug die Regenkatastrophen. Beides führen Umweltforscher auf das ungebremste Abholzen des Regenwalds zurück.

In diesem Jahr gibt es beides auf einmal. Während die Felder auf der pazifischen Seite verdorrten, gingen die auf der karibischen in den Fluten unter. Nach ungewöhnlich starken Regenfällen ist Ende Juli der Fluss Prinzapolka im Nordosten Nicaraguas über die Ufer getreten und hat die Ernte der dort siedelnden rund 8.000 Miskito-Indianer mitgenommen. Auch sie leiden Hunger.

In der Kaffeezone im Norden Nicaraguas hat es reichlich geregnet. Der August ist eigentlich die Zeit, in der die Plantagen geputzt werden. Das üppig wuchernde Unkraut muss herausgerissen, die Schattenbäume und Kaffeesträucher müssen gestutzt werden. Sonst verwildern die Fincas. Der Kaffee erstickt unter anderen Pflanzen. Doch auf kaum einer Plantage wird gearbeitet. Es lohnt sich nicht.

An der New Yorker Börse für Rohkaffee werden seit Monaten nur zwischen 50 und 60 Dollar pro 100 amerikanische Pfund (45,4 Kilo) bezahlt. Die Produktionskosten in den Kaffeeregionen Zentralamerikas liegen bei 90 Dollar. Nur noch die industrialisierten Plantagen Brasiliens und die in den fernöstlichen Niedrigstlohnländern Kambodscha und Vietnam arbeiten bei diesen Preisen mit Gewinn. In Nicaragua aber haben fast 30.000 Tagelöhner seit Ende Januar, als die letzte Ernte vorbei war, nichts mehr verdient.

Vorher bekamen sie umgerechnet 3,20 Mark am Tag. Da lässt sich nichts auf die hohe Kante legen. Land besitzen sie auch nicht. Seit Monaten haben sie sich fast ausschließlich von Mangos ernährt. Doch nun gibt es auch keine Mangos mehr. Drei unterschiedliche Ursachen: Dürre, Überschwemmungen und die Preiskrise des Kaffees. Die Folge ist immer dieselbe: Hunger.

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