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Im Aufzug durchs Dach

Sommerloch (5): Auf dem Parkdeck des Forums Neukölln mit viel Eis zu Sonne und Sand-Tango

von SILVIA LANGE

Mein Blick über die Stadt ist kostenlos und frei. Doch anstatt des üblichen Touristengedränges auf dem Reichstag oder im Fernsehturm habe ich etwa 300 Quadratmeter für mich allein: auf dem obersten Parkdeck des „Forums Neukölln“ an der Karl-Marx-Straße.

Das Einkaufscenter steht schräg gegenüber dem Neuköllner Rathaus. Von außen sieht es so aus, als wollte es mit ein bisschen Glasfassade hier und viel Werbung dort ein französisches Kaufhaus nachahmen. Im Inneren ist es ein Konsumtempel der überraschenderen Sorte. Nach dem Gedränge an den Schnäppchenmärkten und Schlussverkauf-Grabbeltischen im lang gezogenen Durchgang gleitet der Blick plötzlich nach oben zur kegelartigen Dachkonstruktion, die wie eine spitze Glaskuppel entrückt über dem Einkaufscenter schwebt – gehalten von bronzenen Stahlträgern. Man wird förmlich in diese futuristische Form hineingezogen.

Auf dem Weg zum Aufzug führt kein Weg am Eiscafé vorbei: Die überbordenden Gefäße mit selbst gemachter Eiscreme, die sich zu lukullischen Formationen türmen, lassen selbst die Willensstärksten schwach werden. Bei über 20 Sorten mit Namen wie „Weißer Trüffel“, „Baci“ oder „Pfefferminze“ läuft das Wasser im Mund zusammen.

Schleckend geht es dann zum gläsernen Aufzug, ab in den achten Stock. Schon in der sechsten Etage denkt man, es geht nicht mehr weiter, doch dann durchbricht der Aufzug das schräge Glasdach, um auf dem leeren obersten Parkdeck zu landen. In der Hitze parken die Kunden ihre Autos lieber in den schattigen unteren Etagen – wenn überhaupt, denn die meisten Neuköllner gehen zu Fuß einkaufen.

Ein paar Schritte bis zur Brüstung, und es öffnet sich ein himmlischer Blick über die roten Neuköllner Dächer, im Hintergrund die Hasenheide, die Hochhäuser am Potsdamer Platz und an der Fischerinsel, Fernsehturm, Frankfurter Tor, Treptowers, Plänterwald bis nach Gropiusstadt. Plötzlich fallen Kirchtürme auf, die man noch nie gesehen hat.

Beobachtet werden Besucher hier von den Überwachungskameras und dem Wachschützer, der müde im Schatten sitzt. Ab und zu kommen fünfzehnjährige Mädchen hier hoch, die gemeinsam eine rauchen, oder ein einsamer Neuköllner Junge tippt an die Brüstung gelehnt Kurznachrichten in sein Mobiltelefon. Es ist so heiß auf dem glühenden Asphalt, dass man sich zum Eis ein Planschbecken herwünscht. Neulich standen hier noch mehr als zehn, als die Aktionskünstler vom „team ttt&t“ während der Temporären Gärten ihre „Sand-Handlung“ betrieben. Anstatt mit Wasser waren die Luftgummibecken allerdings mit den unterschiedlichsten Sandsorten aus Braunkohletagebauen der Lausitz gefüllt.

Abends gab es einen melancholischen Sand-Tango auf dem rot beleuchteten Parkdeck. Doch das Ereignis war eine Ausnahme. Normalerweise genießt man hier oben ganz allein den Sonnenuntergang – das Parkdeck hat jeden Tag bis 23 Uhr geöffnet.

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