Ewiges Trauma

„überMutter“: Eine internationale Tanzproduktion im Lichthof-Theater  ■ Von Annette Stiekele

Jeder hat sie, jeder liebt sie und jeder verflucht sie auch des öfteren mal. Das Thema „Mutter“ lässt keinen so richtig kalt. Denn diese enge Bindung der allerersten Stunde birgt für jeden extreme Erfahrungen. „Mütter sind in der Geschichte offensichtlich niemals abwesend und niemals unschuldig“, schrieb die junge Choreografin Antje Pfundtner in das Konzept für ihr zweites eigenes Projekt und erhielt umgehend die Unterstützung der Kulturbehörde.

Mit der seit drei Jahren in Hamburg ansässigen Magpai Production Group bringt sie heute überMutter im Lichthof-Theater am alten Gaswerk heraus. Die Idee schwelte schon lange, dann stieß die junge Tänzerin auf den Filmtitel Alles über meine Mutter von Pedro Almodovar und entschied sich für dieses doppeldeutige Wortspiel. Und für viele ist es in der Tat ein so großes Thema, dass der Begriff der überMutter nicht allzu weit liegt. Die gleichnamige Szene-Bar in der Schanze fand die Idee so gut, dass sie sich sogar als Sponsor anbot.

Antje Pfundtner lebt erst seit kurzem in Hamburg. Während ihrer Ausbildungsjahre in Amsterdam und am New Yorker Dance Space entstanden Kontakte in die Hansestadt über die Tänzerin Rebecca Hilton. Pfundtner lernte die Gruppe Labor Gras kennen und die Tänzerin Trinidad Martinez, die mit ihrem Freund nach dem gemeinsamen Duett I could eat a beer die Magpai Production Group gründete. Dieser Gruppe schloss sich Antje Pfundtner an: „Das ist noch ein recht loser Zusammenschluss, der aber ein sehr freies Arbeiten ermöglicht.“

Lange schon wollte sie ein neues eigenes Stück produzieren, ein Solo sollte es sein. „Ich suche mir gerne globale Themen, mit denen sich jeder identifizieren kann. Meine Mutter liefert mir da viel Material. Das Thema ist universell, und es schlägt auf die Gesellschaft zurück, weil die ersten Jahre die entscheidenden sind.“ Die Idee war gefunden, fehlten noch die Akteure. Pfundtner fragte befreundete Tänzer, und kurze Zeit später stand die international zusammengesetzte Truppe. Verbunden hat sie die Mutter-Idee mit einem interkulturellen Aspekt.

„Mich hat die Frage interessiert, ob sich das Verhältnis zur Mutter in verschiedenen Kulturen ähnelt. Oder ob es nicht doch stark von der Erziehung in unterschiedlichen Kulturen geprägt ist,“ sagt Antje Pfundtner. Sie präsentiert eine deutsche Annäherung an das Thema, Trinidad Martinez eine spanische, Renata Cisek eine polnische, Nathalie Elghoul Haboud eine ecuadorianische und Yolanda Gutiérrez eine mexikanische per Video. Das Stück wurde bereits zum diesjährigen interkulturellen Festival Eigenarten im November auf Kampnagel eingeladen.

Jede Tänzerin konnte sich ganz eigene Gedanken zu dem Thema machen. Und so vielfältig die Kulturen, so unterschiedlich stark spielen religiöse Traditionen und der Status der Frau in der Gesellschaft in das Verhältnis mit hinein. Pfundtner bettet alle Soli in ein verbindendes Bild, in dem die Frauen sich begegnen. Jede Frau steht dabei für sich und jede wird mit anderen Hilfsmitteln arbeiten. „Das Tolle am Tanz ist, dass er das Problem emotional ganzheitlich erfasst,“ sagt die Choreografin. „Tanzkunst ist da einfach ehrlich.“ Die Soloarbeit zwingt die Frauen zu einer sehr intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema und nötigt auch dazu, die Untiefen wahrzunehmen.

Aufgewachsen in Dortmund, hat Antje Pfundtner ihr Schlüsselerlebnis mit dem Tanz nicht etwa bei Pina Bausch erfahren, sondern im heimischen Ballettunterricht. Die lebenslustige Tänzerin hat sich auch im Schauspiel versucht, dabei aber festgestellt: „Ich bin im Tanz gut aufgehoben, denn ich kann mit Tanz am ehrlichsten umgehen. Ich kann mich da nicht hinter einer Rolle verstecken.“

Und wie sieht ihre Beziehung zur eigenen Mutter aus? „Heutzutage muss man sich alles erwerben, selbst die Liebe. Die Leute leben in ständiger Angst, sie zu verlieren, nur die Mutterliebe ist bedingungslos.“ Ihr positives Mutterbild hat einen konkreten Hintergrund: „Sie gab mir den Anstoß zur Bewegung und bewegt mich noch stets“ schreibt sie ins Programmheft. Als Kind hatte sie eine Bewegungsstörung, doch ihre Mutter turnte ein Jahr lang fünfmal am Tag mit ihr. Inzwischen ist sie gesund und hat die Bewegung sogar zu ihrer Profession gemacht.

Premiere heute, Freitag, 20 Uhr, Lichthof-Theater, Mendelssohnstr. 15. Weitere Vorstellungen: 25.+26.8., jeweils 20 Uhr